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Call for Papers: Die Vermessung von Ethnizität und Migration. Klassifizierung und statistische Repräsentation in Wissenschaft und Verwaltung.
Öffentliche Tagung vom 8. – 9. Oktober 2015 in Essen (KWI)
Veranstalter: Kulturwissenschaftliches Institut (KWI) Essen; in Kooperation mit der DGS-Sektion Migration und ethnische Minderheiten und dem Institut für Soziologie der Universität Duisburg Essen
Organisation: Linda Supik (KWI Essen), Norbert Cyrus (DGS-Sektion MeM), Anja Weiß (Universität Duisburg-Essen)
Die Komplexität der Vielfalt, die zählt, wächst zusehends. Um die ethnische, sprachliche oder religiöse Vielfalt angemessen erfassen und abbilden zu können, werden amtliche statistische Kategorien dynamisch weiter entwickelt. In der deutschen amtlichen Statistik wurde vor zehn Jahren das Konzept der „Personen mit Migrationshintergrund“ eingeführt. Zusätzlich wird in
Schulstatistiken inzwischen mit dem Konzept der „nicht-deutschen Herkunftssprache“ operiert. Und schließlich wurde 2011 erstmalig eine Frage nach dem religiösen Bekenntnis in den
Bevölkerungszensus aufgenommen, um insbesondere die deutschen Muslime zu erfassen. Auch in Ländern wie den USA, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich (UK) lässt sich die dynamische Ausdifferenzierung statistischer Kategorien zur Erfassung ethnischer, religiöser oder sprachlicher Vielfalt beobachten. Die Betrachtung nationaler statistischer Praxen verweist auf eine unübersichtliche Vielfalt des Zählens, die systematische Vergleiche oder Zusammenführung nationaler Datensätze auf europäischer und internationaler Ebene vor enorme methodische Herausforderungen stellt. Ungeklärt ist zudem die Frage, ob und in welcher Form die biographischen Muster transnationaler Mobilität amtlich erfasst werden
können oder sollen.
In dieser Tagung sollen die amtlichen und wissenschaftlichen Praktiken statistischer Erfassung und Repräsentation von Migration und Ethnizität reflektiert werden. Amtliche Statistiken liefern nicht nur dem Verwaltungs- und Regierungshandeln eine handlungsanweisende Beschreibung, sondern auch den Produzent/innen wissenschaftlichen Wissens, die an ihrer Erstellung und Verbesserung beteiligt sind oder diese für ihre Forschungen auswerten. Die moderne staatliche Verwaltung erstellt seit dem 18. Jhdt. Statistiken, um verschiedene Aspekte der sozialen Welt darzustellen. Die amtliche Erfassung von Bevölkerungsdaten leistet dabei viel mehr als neutrales Registrieren scheinbar objektiver Fakten. Mit der Anwendung kategorialer Bestimmungen und Unterscheidungen wie Nation, ‚Rasse‘ oder ethnischer Gruppe schafft die amtliche Statistik Objekte und Konsistenzen, die es so im Voraus nicht gegeben hat. Die Reform amtlich-statistischer Erfassungssysteme fügt sich damit in die Geschichte der „Politik der großen Zahlen“ (Alain Desrosières).
Die Praktiken der amtlich-statistischen Kategorisierung, Klassifizierung, Vermessung und Quantifizierung sind trotz ihrer Effekte auf Politik und Wissenschaft nur ein marginales Thema sozialwissenschaftlicher Reflexion. Aktuell lassen sich allerdings einige Ansätze zu einer kritischen Auseinandersetzung ausmachen. In gouvernementalitätstheoretischer Perspektive wird die Rolle von Verwaltung und statistischer Erfassung als Mechanismus der Formierung und Regierung von Bevölkerung untersucht. Postmigrantische Ansätze argumentieren, dass die soziale, ethnische, sprachliche und religiöse Vielfalt eine eindeutige Zuordnung zu den aktuell verwendeten statistischen Kategorien unterläuft. Die vieldeutigen und hybriden Identitäten werden nicht angemessen repräsentiert, sondern unsichtbar gemacht. Im intersektionalen Kontext wird ein postkategoriales Verständnis entwickelt, das auf die Auflösung einer als problematisch angesehenen gruppistischen Interpretation rechtlicher Kategorien abzielt, durch die Individuen auf Gruppenzugehörigkeiten festgelegt werden. Diesen Ansätzen geht es nicht um die Abschaffung amtlich-statistischer Repräsentationen, sondern um eine Reflexion der Anwendungseffekte.
Wir laden zur Einreichung von Vortragsangeboten zu den folgenden Themenbereichen ein:
FALLSTUDIEN: Historisch oder international vergleichende Beiträge zur Einführung und zu methodischen Erfahrungen mit der Anwendung und Auswertung bestimmter
statistischer oder administrativer Konzepte, zum Beispiel „Person mit Migrationshintergrund“, „Nicht-Deutsche Herkunftssprache (ndH)“, „Muslime in Deutschland“, „Visible Minorities“ (Kanada), oder der subjektiven Selbstauskunft über ethnische Zugehörigkeit; z.B. als „White“ und/oder „Asian“ (UK), bis hin zu offenen Fragen und frei formulierbaren Antworten, sowie der Erfassung von Mehrfachzugehörigkeiten (USA).
SURVEYS: Berichte und Analysen zur wissenschaftlichen Verwendung großer Forschungsdatensätze wie z.B. in Deutschland das SOEP oder der Mikrozensus und EUweit der LFS. Welche Möglichkeiten und Grenzen für Auswertung und Interpretation bieten die bestehenden Datensätze? Welche Weiterentwicklungen wären denk- oder wünschbar, um etwa hybride und transnationale Aspekte abzubilden?
Beiträge zur PERFORMATIVITÄT amtlicher statistischer Kategorien aus diskurstheoretischer sowie wissenssoziologischer Perspektive. Welche (auch nicht intendierten) Effekte hat die Einführung amtlicher Kategorien auf die Sichtbarkeit und das Handeln der mit diesen Kategorien Bezeichneten? Kommt es zu Prozessen der Selbst- und Fremdethnisierung? Welche Effekte auf bestehende Ordnungen der Unter- und Überordnung, der Ein- und Ausschlüsse lassen sich beobachten? Kommt es zu Veränderungen und wie werden diese realisiert?
UN(ER)FASSBAR?! Beiträge zur Theorie und Praxis der kollektiven Fremd- und Selbstbezeichnungen unabhängig und vor statistischer Repräsentation. Wie entstehen Namen und kollektive Benennungen, wie wandeln sie sich, wie setzen sie sich durch oder auch nicht? Wo unterlaufen Hybridisierungsprozesse statistische Erfassung?
POLITIK DER KONSTRUKTION STATISTISCHER REALITÄT: Wie werden neue Kategorien und Klassifizierungen der amtlichen statistischen Erfassung etabliert? Wer sind die Akteure in den Prozessen der Infragestellung (Kritik) überkommener Kategorien, der Re- oder Neukonzeptionalisierung von Kategorien und der Entscheidung zur Reform amtlicher Statistik?
REGIEREN MIT ZAHLEN: Haben amtliche Statistiken formative Effekte auf politische Kontroversen und Entscheidungen? Wann und wie werden amtliche Statistiken zur Rechtfertigung oder Kritik politischer Entscheidungen und Programme aufgerufen? Wann und wieso wird der Verweis auf große Zahlen in politischen Entscheidungsprozessen durch andere Argumente übertrumpft?
THE DARK SIDE OF NUMBERS: Beiträge zu Fragen der Forschungsethik, des Datenschutzes und des Datenmissbrauchs. In einem weiteren Sinne kann eine politische Nutzung von Statistiken (z.B. zur Untermauerung rassistischer Thesen) bzw. ein Erstellen von Statistiken, die sich für solche Nutzungen anbieten (z.B. Kreuztabellen statt multivariater Analysen) als Datenmissbrauch verstanden werden.
Mit dieser Tagung wollen wir Sozial- und Kulturwissenschaftler/innen verschiedener Disziplinen zur Diskussion einladen, sowie zu einem Austausch der Methodologien (quantitativ/ qualitativ) anregen. Angesprochen seien sowohl Kolleg/innen, die mit großen Datensätzen arbeiten, wie auch methodenkritische Perspektiven. Besonders einladen möchten wir auch Sozialstatistiker/ innen aus der Praxis öffentlicher Verwaltungen, sowie Akteur/innen aus NGOs und Zivilgesellschaft, die sich als Nutzer/innen von Sozialdaten über die verfügbaren Daten und Klassifikationen Gedanken machen.
Nachwuchswissenschaftler/innen wie Promovierende sind ausdrücklich zur Einreichung von Angeboten eingeladen. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Vorträge in englischer Sprache sind willkommen.
Abstracts von max. 300 Wörtern mit einer Kurzbiographie bitte bis zum 30.04.2015 senden an [email protected]; [email protected]
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Call for Papers: Einladung zur Mitwirkung an dem Sammelband: Bildungsungleichheit und Symbolische Ordnung in der Einwanderungsgesellschaft.
Emre Arslan / Kemal Bozay (Hrsg.)
Ausgangslage und Gegenstand:
Das Thema der Bildungsungleichheit im Kontext der migrationssoziologischen Prozesse ist in den letzten Jahren vielfach in den Fokus sowohl wissenschaftlicher als auch praxisorientierter Diskurse gerückt. Vielfältige Forschungen haben sich mit den Problemen und Ergebnissen der Bildungsungleichheit beschäftigt. Eine neue forschungsbezogene Qualität gewinnt dieser Begriff im Zusammenhang mit dem Diskurs über „Symbolische Ordnung“. Der Bourdieusche Begriff der „symbolischen Ordnung“ wurde bislang hauptsächlich in Genderstudien eingesetzt, um die unsichtbaren Mechanismen der männlichen Herrschaft aufzudecken.
Mit diesem Sammelband haben wir uns das Ziel gesetzt, den Bourdieuschen Diskurs zur „Symbolischen Ordnung“ auf das Themenfeld „Bildungsungleichheit und Migration“ zu übertragen und zu diskutieren. Pierre Bourdieu konstatiert: „Die soziale Ordnung funktioniert wie eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft, auf der sie sich gründet“. Dabei unterscheidet Bourdieu zwischen dem Ort der Manifestation und dem Ort der Produktion von symbolischer Ordnung und betont, dass die Konzentration auf Orte der Manifestation, also die sichtbarsten Orte der Ausübung des Herrschaftsverhältnisses (z. B. der häusliche Bereich), nicht ausreichend seiend. Bourdieu bezeichnet das Bildungsfeld als Ort der Produktion von symbolischer Ordnung.
Im Kontext von Bildung und Migration sehen wir das Bildungsfeld jedoch nicht nur als Produktionsort, sondern auch als Manifestationsort der symbolischen Ordnung. Zahlreiche Studien belegen, dass vorurteilsbeladene, stereotype und hierarchische Bilder beispielsweise über Migrantenkinder im Schulalltag zur Benachteiligung und Ausgrenzung dieser führen. Solche Manifestationsmomente der Benachteiligung sind in der Praxis jedoch nur ein Teil der Bildungsungleichheit, weil die Vorurteile oder „Bilder im Kopf“ nicht von den individuellen Personen (z. B. der Lehrkraft, die ein Migrantenkind schlechter bewertet) selber produziert werden. Unabhängig von politischen und gesellschaftlichen Einstellungen oder persönlichen Vorlieben sind alle Akteure von der von der sozialen Ordnung produzierten gigantischen Symbolmaschine überwältigt. Hinzu kommt, dass durch die ethnische Segmentation auch „Schieflagen im Bildungssystem“ (re-)produziert werden. Ethnisierungsprozesse im Fokus des Bildungsdiskurses forcieren gegenwärtig Ausgrenzungsmechanismen, die sowohl zur Konstruktion von Fremdbildern beitragen als auch Bildungsungleichheiten erst möglich machen.
Dieser Sammelband konzentriert sich daher innerhalb dieses Diskurses nicht nur auf die Manifestationsmomente im praktischen Schulalltag oder in den Bildungseinrichtungen, sondern möchte zugleich einen Fokus auf die Produktionsmomente der symbolischen Herrschaft im Bildungssystem lenken. Diese analytische Unterscheidung ist nicht zuletzt entscheidend für Strategien gegen die Bildungsungleichheit. Die Auseinandersetzung mit individuellen Entscheidungen oder Vorurteilen auf der Praxisebene bleibt müßig, solange auf struktureller Ebene permanent weiter soziale Ungleichheit produziert wird.
Basierend auf dem Konzept der symbolischen Ordnung beschäftigt sich dieser vorliegende Sammelband mit folgenden Hypothesen:
* Die ungleiche soziale Struktur und auch die Machtasymmetrien in der Gesellschaft produzieren stets eine symbolische Ordnung geprägt von hierarchischen Bildern über die Einwanderergesellschaft.
* In den Bildungseinrichtungen und der Bildungsverwaltung müssen alle Akteure (Lehrer, Eltern, Dozenten, Verwaltung usw.) mit diesen vorgefertigten hierarchischen Bildern umgehen. Anders gesagt, die Bildungseinrichtungen sind ein Manifestationsort der Ungleichheiten, weil durch die produzierte symbolische Ordnung ein hierarchisches Bild über „Fremde“ bereits manifestiert wird.
* Die Bildungseinrichtungen sind gleichzeitig ein Produktionsort der symbolischen Ordnung, weil sie Momente sowohl der Manifestation als auch der Produktion der symbolischen Herrschaft enthalten.
* Die Strategien gegen die Bildungsungleichheit sollen in erster Linie den Produktionsmomenten der symbolischen Herrschaft im Bildungsfeld entgegenwirken.
* Zur Beseitigung der Bildungsungleichheit müssen auch andere Felder mit einbezogen werden, da die symbolische Herrschaft nicht nur von den Bildungseinrichtungen ausgeht, sondern auch in Feldern wie Politik, Religion, und Wirtschaft (re-)produziert wird.
Dieser Sammel- und Herausgeberband soll prinzipiell interdisziplinär ausgerichtet sein. Wenn Sie Interesse an einem Beitrag in dem Sammelband haben, schreiben Sie bitte eine E-Mail mit dem vorläufigen Titel Ihres Beitrags an uns. Die fertigen Beiträge sollen bis spätestens 30. August 2015 eingereicht werden. Geplantes Erscheinungsdatum ist Winter 2015/16.
Kontakt: [email protected], [email protected]
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