Arbeitsmigration und Menschenhandel: Rumänien

4. März 2005

In einer Studie vom September 2004 hat die Migration Research Group des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) den Zusammenhang zwischen EU-Erweiterung, Migration und Frauenhandel näher untersucht (vgl. MuB 7/04). Von besonderem Interesse war der Frauenhandel in Bezug auf Rumänien, da Rumänien eines der Hauptherkunftsländer der Opfer von Frauenhandel in Europa ist und ab 2007 voraussichtlich der EU beitreten wird. Der vorliegende Artikel baut in weiten Teilen auf dieser Studie auf.

„Rumänien ist nach wie vor Ausgangsland, Transitland und Zielland für den Menschenhandel, dessen Hauptopfer junge Frauen und Mädchen sind, die in den Zielländern sexueller Ausbeutung ausgesetzt sind. Daneben werden auch Kinder und Behinderte zu Opfern der Menschenhändler, die sie als Straßenbettler einsetzen. Die Fälle, in denen solche Vergehen nachgewiesen werden können, häufen sich. Es mangelt jedoch noch an wirksamer Zusammenarbeit der Behörden und an zuverlässigen Statistiken“, so der Fortschrittsbericht 2004 der Europäischen Kommission im Rahmen der Beitrittsvorbereitungen.

Der Mangel an zuverlässigen Statistiken über Opferzahlen stellt noch immer ein großes Problem bei der Bekämpfung des Menschenhandels dar. Inzwischen sind erste systematische Erhebungen in den Ländern Südosteuropas verfügbar (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Republik Moldau, Rumänien, Serbien und Montenegro). Keine zuverlässigen Angaben gibt es jedoch über Opfer, die aus Südosteuropa stammen und in der EU aufgegriffen werden.

Der Länderbericht Rumänien des Regional Clearing Point, eine Erhebung von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, nennt eine Zahl von 778 rumänischen Mädchen und Frauen, die im Zeitraum von Januar 2000 bis Mai 2003 zumeist in Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als Opfer von Zwangsprostitution identifiziert und nach Rumänien zurückgebracht worden sind. Das Bundeskriminalamt spricht für das Jahr 2003 von insgesamt 1.235 registrierten Opfern des Menschenhandels in Deutschland. Die Anzahl der nichtdeutschen Opfer betrug 1.108, von denen 143 aus Rumänien stammten. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der rumänischen Opfer in Deutschland um 96 Personen gestiegen.

Darüber hinaus lassen sich jedoch kaum Aussagen über die Anzahl rumänischer Opfer in Europa machen, da nur wenige Länder die Opfer von Menschenhandel – insbesondere aufgeschlüsselt nach Herkunftsland – erfassen. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sammeln vor allem Deutschland, die Niederlande und Italien Daten über Opfer in systematischer Form. Vor dem Hintergrund von schätzungsweise 500.000 Opfern von Menschenhandel in Westeuropa pro Jahr, die mutmaßlich aus den GUS-Staaten und Ländern Mittel- und Osteuropas kommen, erscheinen daher die oben genannten Zahlen wenig aussagekräftig.

Statistiken und Informationen über die Beweggründe zur Auswanderung und den Werdegang von Opfern werden jedoch dringend benötigt, um entsprechende Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Menschenhandel ergreifen zu können. Die Internationale Organisation für Arbeit (ILO) hat im Rahmen eines Programms zur Bekämpfung von Zwangsarbeit erste Länderstudien über die Situation von Opfern in Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung veröffentlicht.

Neueste ILO Studien über Menschenhandel
In der ILO Länderstudie über Rumänien, die im Oktober 2004 erschien, wurde bei den 160 Befragten zunächst unterschieden zwischen:

  1. Opfern von Menschenhandel (Betrug und Zwang werden von Anfang an, einschließlich der Reise, und während der Arbeitstätigkeit im Zielland ausgeübt)
  2. Opfern von Zwangsarbeit (Zwang wird während der Arbeitstätigkeit im Zielland ausgeübt)
  3. erfolgreichen Arbeitsmigranten (die Befragten empfinden keine Form des Betrugs oder des Zwangs, was jedoch mögliche Formen der Ausbeutung nicht ausschließt).

Diese Unterscheidung sollte es ermöglichen, spezifische Kriterien in Bezug auf Anfälligkeit, Opfer von Menschenhändlern zu werden, die Arbeitsplatzsuche im Ausland, die Reisedurchführung und die Arbeitsbedingungen im Zielland herauszuarbeiten. Es wurden sowohl Frauen (88) als auch Männer (72) aus Rumänien in die Studie miteinbezogen, die in Sektoren wie dem Baugewerbe, der Gastronomie, der Landwirtschaft, der verarbeitenden Industrie und im Sex-Gewerbe (Bars, Massage-Salons, Bordelle) im Ausland gearbeitet haben bzw. ausgebeutet wurden.

Von 160 Teilnehmern waren 37 (23,1%) Opfer von Menschenhandel, 22 (13,8%) Opfer von Zwangsarbeit und 101 (63,12%) erfolgreiche Arbeitsmigranten.

Soweit es die Opfer von Menschenhandel betrifft, waren diese mehrheitlich weiblich (67,6%), stellten die Jüngsten der Befragten dar und hatten den geringsten Grad an (Aus-)Bildung. Darüber hinaus – und im Vergleich zu den anderen Kategorien – war ihr familiärer Hintergrund oftmals von Missbrauch und Gewalt geprägt, und sie kamen meist aus einer der ärmsten Regionen in Rumänien (Region Muntenia und Region Moldau, im Nordosten des Landes; angrenzend an das gleichnamige Land „Republik Moldau“). Die Personen in allen drei Kategorien führten als Grund für die Migration ihre schwierigen Lebensumstände an und bezogen dies insbesondere auf den Lebensstandard, die beruflichen Möglichkeiten und sozialen Leistungen in Rumänien. Die Lebensumstände wurden von den Opfern des Menschenhandels als besonders schwierig empfunden.

Auf der Suche nach Arbeit wandten sich die Opfer von Menschenhandel in den meisten Fällen an Vermittler, Opfer von Zwangsarbeit an Agenturen, und erfolgreiche Migranten nutzten Kontakte durch Familie und Freunde. Für alle drei Kategorien bestand daher ein Mangel an offiziellen Daten und Informationen über Arbeitsmöglichkeiten im Ausland.

Gewünschte Zielländer waren vorwiegend Italien und Griechenland, wobei die Opfer von Menschenhandel mehrheitlich in die Länder Ex-Jugoslawiens gebracht wurden. Gewaltanwendung durch Schläge während der Reise erfuhren 29,7% der Opfer von Menschenhandel, 13,6% der Opfer von Zwangsarbeit und 1% der erfolgreichen Migranten. Die meisten Opfer von Menschenhandel waren im Zielland gezwungen worden, 7 Tage pro Woche, 10-12 Stunden pro Tag zu arbeiten. Die Arbeitszeiten der erfolgreichen Migranten beschränkten sich jedoch auch nicht auf eine 40-Stunden-Woche.

Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit waren in den meisten Fällen stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt bzw. durften sich nicht allein von ihrem Arbeitsplatz/ihrer Unterbringung wegbegeben. Arbeitgeber behielten darüber hinaus oftmals die Ausweise ein. Die Anwendung von Gewalt, das Zurückhalten des Lohns zur Abarbeitung der Schuldenlast (erzeugt durch Vermittlung, Reise etc.) sowie die Androhung, die Polizei oder Behörden zu benachrichtigen, stellten die gängigsten Formen der Einschüchterung dar.

Die Mehrheit aller Befragten hatte keine Kenntnisse darüber, welche Organisationen oder Personen in dem Zielland Hilfestellung in der jeweiligen Situation leisten könnten.

Aus der Länder-Studie über Rumänien (Oktober 2004) geht zweierlei hervor: Der Aufklärungsarbeit von potenziellen Migranten in ihrem Herkunftsland, aber auch Zuwanderern nach Ankunft in den Zielländern kommt eine zentrale Bedeutung bei der Bekämpfung des Menschenhandels zu. In Rumänien besteht ein dringender Bedarf an Informationskampagnen über offizielle Wege und Arbeitsmöglichkeiten im Ausland, z.B. durch nationale Arbeitsämter und private akkreditierte Agenturen. Die Zielländer sollten die Verbreitung von Informationen über Hilfsangebote für Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit in der jeweiligen Muttersprache durch Botschaften, Konsulate, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften stärker unterstützen.

Strafverfolgung
Rumänien hat 2001 umfassende Gesetze zur Bekämpfung von Menschenhandel verabschiedet. Im Jahr 2003 wurden 187 Personen verhaftet und 283 kriminelle Netzwerke aufgedeckt. Im gleichen Jahr verurteilten rumänische Richter 49 Personen. Im Vergleich dazu wurde im Jahr 2002 keine Person verurteilt.

Korruption in der Polizei stellt jedoch noch immer ein großes Problem bei der erfolgreichen Strafverfolgung dar. Darüber hinaus gibt es keinen effizienten Zeugenschutz. Als weiterer scharfer Kritikpunkt in Bezug auf die rumänische Gesetzgebung wird die Strafverfolgung von Opfern von Menschenhandel aufgrund illegaler Grenzüberschreitung genannt.

Rehabilitation und Reintegration von Opfern
Die Betreuung von Opfern des Menschenhandels wird in Rumänien maßgeblich von zwei Nichtregierungsorganisationen geleistet: Salvati Copii (Save the Children) und Reaching Out.

Das Konzept von Reaching Out zur Reintegration von Opfern sexueller Ausbeutung hat sich europaweit als eines der erfolgreichsten herausgestellt. Die Interessen und Rechte der Opfer haben Priorität vor den Interessen anderer Personen und Organisationen, einschließlich staatlicher Stellen, was bei den Opfern zu Vertrauen führt und somit die Möglichkeit eröffnet, die Verarbeitung von kurz- und langfristigen Traumata einzuleiten.

Die Hilfe für die Opfer umfasst die kurz- und langfristige Unterbringung, physische und psychologische Untersuchungen und Therapien sowie Weiterbildungs- und Ausbildungsprogramme. Ziel ist es, auf Basis der Interessen und Talente der Frauen eine berufliche Perspektive zu entwickeln, die ihnen langfristig ein eigenständiges Leben gewährleisten soll.

Seit April 2004 unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) finanziell die Arbeit von Reaching Out.
Tanja El-Cherkeh, Migration Research Group, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA)

Für weitere Informationen zu diesem Thema:
Die Studie „EU-Enlargement, Migration and Trafficking in Women: The Case of South Eastern Europe“ ist erhältlich unter: www.migration-research.org
oder unter:
www.gtz.de/traffickinginwomen/download/EU-Enlargement_and_Trafficking_Report_2004.pdf

Quellen:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004 Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zum Beitritt, COM (2004) 657 final, 6.10.2004, Brüssel (http://europa.eu.int/comm/enlargement/report_2004/pdf/rr_ro_2004_de.pdf)
Regional Clearing Point First Annual Report on Victims of Trafficking in South Eastern Europe, Country Report Romania, September 2003, Vienna (http://www.iom.int/DOCUMENTS/PUBLICATION/EN/RCP_trafficking_southeastern_europe.pdf)
International Organisation for Migration, Data on Trafficking of Human Beings Report, Data Workshop, 8-9 September 2003 (www.iom.int/documents/officialtxt/en/trafficking.pdf)
Bundeskriminalamt, Lagebild Menschenhandel 2003, 17.8.2004, Wiesbaden (www.bka.de/lageberichte/mh/2003/mh2003.pdf)
International Labour Office (ILO), Trafficking of migrant workers from Romania: Issues of labour & sexual exploitation, Working Paper, Special Action Programme to Combat Forced Labour, October 2204, Geneva (www.ilo.org/dyn/declaris/DECLARATIONWEB.DOWNLOAD_BLOB?Var_DocumentID=4438)
U.S. State Department, Romania, Trafficking in Persons Report, June 2004, Washington D.C. (www.state.gov/g/tip/rls/tiprpt/2004/33192.htm)

Tanja El-Cherkeh, HWWA

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