Home Kontakt Impressum
EINE KOOPERATION VON
Eine Kooperation von ... bpb Netzwerk Migration
LÄNDERKOORDINATOR FÜR
Europäische Website für Integration
Ausgabe 7
Oktober 2004
Übersicht des aktuellen Newsletters Artikelarchiv vorheriger | nächster Artikel

Neue Studie: Migration und Frauenhandel

In einer Studie vom September 2004 über „EU-Enlargement, Migration and Trafficking in Women: The Case of South Eastern Europe“, in Auftrag gegeben von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), haben Mitglieder der Migration Research Group des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs die Ursachen von Frauenhandel sowie den Zusammenhang zwischen Migration und Frauenhandel untersucht und anhand von Fallbeispielen über Rumänien, Moldau (ehemals Moldawien) und Bulgarien näher dargelegt.

Der Handel mit Menschen geht weit in die Menschheitsgeschichte zurück, und man würde meinen, dass dieses Kapitel bereits seit langem geschlossen sei. Dennoch wird im 20. und 21. Jahrhundert im Rahmen der Vereinten Nationen von einer „zeitgenössischen Form der Sklaverei“ gesprochen. Der Menschenhandel umfasst jede Form der Zwangsarbeit, einschließlich Betteln und Straßenverkauf, Zwangsprostitution und Zwangsheirat sowie den Handel zwecks Entnahme von Organen. Er beinhaltet die Androhung und/oder Ausübung von Gewalt, Betrug, Entführung und Missbrauch einer Position oder Macht mit dem Ziel, die betroffene Person für den eigenen wirtschaftlichen Profit auszubeuten. Laut der Vereinten Nationen werden jährlich mutmaßlich 4 Mio. Menschen Opfer von Menschenhandel. Nach Schätzungen von UNICEF sind 1,2 Mio. Kinder weltweit betroffen. Genaue Angaben lassen sich jedoch aufgrund der kriminellen Natur der Aktivitäten nicht machen; die Zahl der Opfer liegt vermutlich weitaus höher.

 

Im Folgenden soll auf den Handel mit Frauen und Mädchen mit dem Zweck der sexuellen Ausbeutung näher eingegangen werden.

Migration von Frauen und ihre Ursachen
Es stellt sich zunächst die Frage, warum und wie Frauen Opfer von Menschenhändlern werden. Die Ursachen sind vor allem im immensen Migrationsdruck der Frauen, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu sichern, begründet. Die Migration von Frauen mit dem Ziel, eine Arbeitsstelle im Ausland zu finden, ist kein neues Phänomen. So wanderten z.B. im 19. Jahrhundert junge irische Frauen in Massen in die USA aus, um der Armut in ihrem Land zu entfliehen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es vor allem Frauen aus Italien, Spanien und Portugal, die nach Großbritannien und später auch nach Frankreich emigrierten. In den 60er und 70er Jahren wurde die Zahl asiatischer Arbeitsmigranten im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung in den so genannten Tigerstaaten auf insgesamt 6 bis 7 Mio. Menschen geschätzt, wobei insbesondere Frauen für feinmotorische und geduldfordernde Produktionstätigkeiten nachgefragt wurden.

In den letzten Jahren hat eine verstärkte Arbeitsmigration von Frauen aufgrund von Armut, Perspektivlosigkeit und Diskriminierung aus den mittel- und osteuropäischen Ländern stattgefunden. Zielregionen der Frauen, die mehrheitlich in einer ersten Migrationswelle aus der Ukraine, den baltischen Staaten, Polen und Tschechien kamen und nun aus Bulgarien, Rumänien und Moldau, sind meist Länder Westeuropas, Nordamerika, die Russische Föderation, Israel und die Golfstaaten. So werden beispielsweise in Bulgarien 21.4 % der Haushalte von allein erziehenden Frauen geführt, von denen 64.9 % in größter Armut leben. Schätzungsweise 450.000 bulgarische Frauen würden das Risiko eingehen, sich auf inoffiziellem Wege einen Arbeitsplatz im Ausland zu suchen. Soweit es Moldau betrifft, verlassen jährlich etwa 20.000 junge Frauen auf der Suche nach Arbeit das Land. In manchen Dörfern der moldauischen Region Gagausien, die von ethnischen Türken mit christlichem Religionsbekenntnisbewohnt wird, sollen etwa 70 % der Frauen in die Türkei abgewandert sein. Bei einer derzeitigen Gesamtbevölkerung von 4,3 Mio. Bürgern haben mittlerweile etwa 1 Mio. Menschen das Land verlassen, 65 % sind Frauen. Die finanziellen Rücküberweisungen von emigrierten Moldauern stellen zudem eine essentielle Einnahmequelle für das Land dar. Laut Internationalem Währungsfonds beliefen sich die Rücküberweisungen für das Jahr 2002 auf 223.1 Mio. $, was 15.1 % des Bruttoinlandsproduktes entsprechen. Die Nationalbank sprach für das Jahr 2003 von 360 Mio. $, und für das laufende Jahr wird eine Summe von 1 Mrd. $ erwartet.

Frauen haben in den meisten Ländern Südosteuropas1 nicht die gleichen Möglichkeiten und Chancen wie Männer. In den mehrheitlich patriarchalisch orientierten Gesellschaften werden die Frauen bei Ausbildung und Zugang zum Arbeitsmarkt benachteiligt. Hinzu kommt die traditionelle Rolle im Haushalt und als Erziehende, welche wenig Raum für Fortbildung und Karriere lässt. Verstärkte Diskriminierung erfahren Frauen aus Minderheiten-Gruppen wie z.B. die Roma-Minderheit in Rumänien oder die türkische Minderheit in Bulgarien; die meisten von ihnen leben hier in absoluter Armut und ohne Perspektive.

Die Nachfrage nach Frauenarbeit in westlichen Ländern
In Westeuropa gibt es vor allem Bedarf an Mitarbeitern/innen im Pflege- und Dienstleistungssektor (Krankenpflege, Altenpflege, Hotels und Gaststätten). Darüber hinaus lässt sich eine steigende Nachfrage für informelle Sektoren wie z.B. die Privathaushalte feststellen. Frauen werden als Haushalts- und Reinigungskraft sowie als Kindermädchen eingestellt. Auch in der Landwirtschaft arbeiten, meist in illegalen saisonabhängigen Arbeitsverhältnissen, mehr und mehr Frauen. So haben z.B. in der Landwirtschaft in Spanien vermehrt Frauen aus Polen und Rumänien den Platz der marokkanischen Männer eingenommen. Frauen werden oftmals bevorzugt, weil sie durch eine geringe Ausbildung billigere Arbeitskräfte sind und sich allgemein „fügsamer“ benehmen. Gerade auch die individualisierte Arbeit in den Haushalten führt dazu, dass Frauen leichter ausgebeutet werden können im Vergleich zu Männern, die eher in Gruppen wie z.B. im Baugewerbe arbeiten.

Trotz des Bedarfes an Arbeitskräften in Westeuropa sind die Arbeitsmärkte weitgehend abgeschottet. Die EU-15 betreiben eine restriktive Arbeitsmarktpolitik und haben darüber hinaus im Rahmen der EU-Erweiterung Übergangsregelungen für den Zugang zu den EU-15 Staaten eingeführt. Demzufolge könnten die EU-15 Arbeitsmärkte im längsten Fall weitere 7 Jahre geschlossen bleiben (2+3+2 Jahres-Regelung).

Somit erfolgt die Beschaffung entsprechender Arbeitsmöglichkeiten vor allem über informelle Netzwerke, welche durch die EU-Arbeitsmarktpolitik noch weiter vertieft werden.

Frauenhandel mit dem Zweck der sexuellen Ausbeutung
Menschenhändler machen sich den großen Migrationsdruck der Frauen und die aus der restriktiven Arbeitsmarktpolitik resultierende Nachfrage für informelle Dienste zunutze. Zwar bieten „etablierte“ informelle Netzwerke eine sichere Vermittlung, jedoch haben viele Frauen und Mädchen keinen Zugang zu diesen Netzwerken und geraten stattdessen an Menschenhändler. Die Frauen gehören in der Regel einer Minderheit an, kommen aus armen Verhältnissen und ihr familiäres Umfeld ist oftmals von Gewalt und Missbrauch geprägt. In der Erwartung, eine bessere Lebensperspektive im Ausland zu finden, lassen sie sich schnell von Menschenhändlern/Zuhältern überzeugen. Menschenhändler operieren auf unterschiedliche Art und Weise: Sie sprechen Frauen und Mädchen auf der Straße, in Discotheken und Cafés an oder setzen Annoncen in Zeitungen. Entsprechende präventive Kampagnen verlieren dann ihre Wirkung, wenn sich die organisierte Kriminalität und einzelne Händler den neuen Gegebenheiten anpassen. So sind z.B. schätzungsweise 70 % der Zuhälter in der Ukraine Frauen, die nicht dem „Prototypen“ eines Menschenhändlers entsprechen. Diese Frauen werben in den meisten Fällen Frauen und Mädchen an, um selbst aus der Kette der Gehandelten auszubrechen.

Laut einer soziologischen Untersuchung in Rumänien sind die meisten rumänischen Opfer junge ungebundene Frauen zwischen 15 und 25 Jahren, die - durch den Wunsch geleitet, ihr Elternhaus verlassen zu können - eine unangemessene Risikobereitschaft und einen großen Freiheitsdrang zeigen. So lauteten mehrfach die Aussagen: „Schlimmer als jetzt kann es sowieso nicht werden, nur besser“ und „Wenn man gut aufpasst, kann einem nichts passieren“. So genannte „Erfolgsgeschichten“ von emigrierten Frauen werden leicht geglaubt und führen zu der Überzeugung „Wenn man klug ist, kann man auch ohne Ausbildung etwas erreichen; man muss nur hart arbeiten können“.

In Südosteuropa werden mutmaßlich 90 % der ausländischen Frauen in der Sex-Industrie zwangsprostituiert, davon sind 10 - 15 % unter 18 Jahren. Internationale Organisationen stellten bei Opfern fest, die im Zeitraum von Dezember 2000 und Mai 2003 im Kosovo aufgegriffen wurden, dass 49 % zwischen 15 und 18, 32 % zwischen 11 und 14 Jahren alt waren. Die Mehrheit der Frauen und Mädchen kommt aus Albanien, Bulgarien, Moldau und Rumänien. Sie werden zunächst auf dem lokalen Markt „gehandelt“ und dann weiter ins Ausland „verkauft“. Laut Internationaler Organisation für Migration werden jährlich etwa 500.000 Frauen aus Mittel- und Osteuropa nach Westeuropa „verkauft“. Regelmäßige Razzien in Südosteuropa haben dazu geführt, dass sich der modus operandi der Händler geändert hat. So findet die Zwangsprostitution mehr und mehr in Privatwohnungen statt und nicht mehr in öffentlichen Etablissements, was schwieriger zu ahnden ist. Ein weiterer neuer Trick der Händler bezieht sich auf die „doppelte Ausbeutung“. So wird den Frauen tagsüber ein gering bezahlter Job angeboten, und nachts werden sie zur Prostitution gezwungen. Auch hier lässt sich durch den vermeintlich offiziellen Job die Tatsache des Frauenhandels nur schwer nachweisen.

Die Bekämpfung des Frauenhandels wird in den letzten Jahren von einer Vielzahl von internationalen, regionalen, nationalen Organen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) angegangen. Bei der Kooperation der verschiedenen Organisationen hat es sich jedoch als schwierig erwiesen, einen Ansatz zu finden, der sowohl eine erfolgreiche Strafverfolgung als auch den Schutz und die Interessen der Opfer gewährleistet. So wird die Gewährung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Opfer davon abhängig gemacht, ob das Opfer mit den polizeilichen und justiziellen Behörden zusammenarbeitet. Eine entsprechende Regelung ist geltendes Recht in Bulgarien und liegt seit dem 29. April 2004 als Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten vor. Diese Form des Anreizes für die Opfer ist zweifelhaft, da die Opfer bei einer Zusammenarbeit mit den Behörden mit Vergeltungsschlägen der Händler/Zuhälter rechnen müssen. Darüber hinaus existieren in den südosteuropäischen Ländern noch keine funktionierenden Zeugenschutzprogramme. Organisationen, welche in erster Linie den individuellen Menschenrechtsschutz in den Vordergrund stellen, wie z.B. das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte oder die meisten NROs, halten Bedingungen jeglicher Art für unzumutbar.

Verstärkte Bemühungen insbesondere von NROs konzentrieren sich auf die Reintegration von Opfern. Die Reintegration von Opfern schließt die kurzfristige und langfristige medizinische und psychologische Betreuung, Unterkunft, rechtliche Beratung sowie Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten mit ein. Jedoch haben NROs, die in Rumänien, Moldau und Bulgarien tätig sind, zu wenig Kapazitäten, um einen umfassende Versorgung gewährleisten zu können.

Des Weiteren steht auf der Prioritätenliste der internationalen Akteure die Situation von Kindern. Es ist zu wenig bekannt über die Anzahl der Kinder und ihre Schicksale im Rahmen des Menschenhandels. Darüber hinaus gibt es kaum kindgerechte Aufnahme- und Betreuungszentren. Es lässt sich im Gegenteil hier in den letzten Jahren ein erschreckender Trend feststellen: Kinder von Frauen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind oder migriert sind, laufen große Gefahr, selbst aufgrund von Vernachlässigung und Vereinsamung Opfer von Händlern zu werden.

Tanja El-Cherkeh, Migration Research Group, HWWA

Der vollständige Bericht ist erhältlich unter:
www.migration-research.org oder
www.gtz.de/traffickinginwomen/download/EU-Enlargement_and_Trafficking_Report_2004.pdf


1 In diesem Rahmen bezieht sich Südosteuropa auf: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Moldau, Rumänien, Serbien und Montenegro. (zurück)

Druckversion anzeigen
social bookmarks:  Mister Wong | Oneview | Linkarena | Del.icio.us | Yigg | Digg | Folkd

Diese Artikel könnten Sie ebenfalls interessieren:


Übersicht des aktuellen Newsletters Artikelarchiv vorheriger | nächster Artikel
Ausgaben Artikel
Schlagwortsuche Volltextsuche Länderauswahl
Migration Integration Bevölkerung
Migration allgemein Zuwanderungsgesetz Greencard-Regelung Asylpolitik Spätaussiedler Irreguläre Zuwan ... Auswanderung Länderprofil
Newsletter Recht Zahlen Grafiken Dokumente Internetportale
Newsletter Gesetze und Gese ... Dokumente Debatte Internetportale
Newsletter Recht Zahlen Grafiken Dokumente
Newsletter Zahlen Dokumente Grafiken Internetportale
Newsletter Zahlen Grafiken Dokumente
Newsletter Dokumente Internetportale
Newsletter Grafiken Dokumente
focus MIGRATION
Integration allg ... Integrationsvero ... Einbürgerung Antidiskriminierung Kopftuchverbot Fremdenfeindlichkeit
Newsletter Recht Zahlen Dokumente Grafiken Debatte Projekte Internetportale
Newsletter Recht Zahlen Dokumente Debatte Internetportale
Newsletter Recht Dokumente Debatte Grafiken Internetportale
Newsletter Gesetze und Gese ... Dokumente Internetportale
Newsletter Gerichtsurteile Bund Regelungen Bunde ... Debatte
Newsletter Zahlen Dokumente Debatte Projekte Internetportale
Bevölkerung allg ... Demographische A ...
Newsletter Recht Zahlen Dokumente Projekte Internetportale
Newsletter Zahlen Dokumente Debatte Projekte Internetportale
Migration Integration Bevölkerung
Zuwanderungspolitik Asylpolitk Irreguläre Migration EU-Osterweiterung EU-Beitritt Türkei Länderprofile
Newsletter Recht Zahlen Grafiken Dokumente Debatte Projekte Internetportale
Newsletter Recht Zahlen Grafiken Dokumente
Newsletter Dokumente Zahlen Debatte Internetportale
Newsletter Dokumente Debatte Internetportale
Newsletter Dokumente Debatte Internetportale
Newsletter focus MIGRATION
Integration allg ... Antidiskriminier ... Fremdenfeindlichkeit
Newsletter Dokumente Debatte Internetportale
Newsletter Recht Dokumente
Dokumente
Bevölkerung allg ...
Zahlen Grafiken Dokumente
Migration Bevölkerung
Migration allgemein Flucht und Asyl Länderprofile
Newsletter Zahlen Dokumente Grafiken Debatte Internetportale
Newsletter Zahlen
Newsletter focus MIGRATION
Bevölkerung allg ... AIDS
Newsletter Zahlen Grafiken Dokumente
Zahlen Dokumente Grafiken Internetportale
Home Kontakt Impressum Seitenanfang