Deutschland: Dokumentationen über Polizeigewalt gegen Ausländer

4. Februar 2004

Zwei Mitte Januar erschienene Veröffentlichungen von Menschenrechtsorganisationen thematisieren das Problem der Gewaltanwendung seitens der Polizei gegenüber Ausländern oder Deutschen ausländischer Herkunft.

Eine Dokumentation des deutschen Anti-Rassismus-Vereins „Aktion Courage" stellt exemplarisch 70 gewaltsame Polizeiübergriffe auf Migranten und Migrantinnen dar, die sich zwischen 2000 und 2003 ereigneten. Dem Bericht zufolge wurden alle 70 Personen unverschuldet Opfer von Gewaltverbrechen und „schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen" und erlitten teilweise schwere körperliche Versehrungen. In drei Fällen kam es zum Tod. Recherchiert wurden die Fälle vom Berliner Polizei-Experten Otto Diederichs, der Pressequellen, dokumentierte Zeugenaussagen und einschlägige Gerichtsurteile zusammentrug. Die übertriebene Gewaltanwendung fand demnach vor allem im Polizeigewahrsam oder an solchen Tator ten statt, wo keine Zeugen anwesend waren. Immer häufiger waren neben Polizei und Bundesgrenzschutz auch private Sicherheitsdienste involviert. Die dokumentierten Fälle seien „nur die Spitze eines Eisberges", so Diederichs. Er verwies auf die hohe Dunkelziffer.

Allein auf Grund ihres Aussehens würden Ausländer schneller verdächtigt und litten auch unter den in Folge des 11. Septembers 2001 verschärften Polizeigesetzen. Nur selten gebe es Verurteilungen, da die Opfer aus Angst schwiegen und sich die Beamten mit Gegenanzeigen, etwa wegen angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt, schützten. Kuratoriumsmitglied Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete die Situation als „traurig und bitter für den Rechtsstaat" und forderte die Innenminister der Länder auf, sich schützend vor Beamte zu stellen, die den Mut haben, ausländerfeindliche Übergriffe ihrer Kollegen anzuprangern, statt sie als „Nestbeschmutzer" zu betrachten.

Ebenso Aufsehen erregend war der diesjährige Deutschlandbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai). Er greift allgemein die Problematik von Misshandlungen und ungerechtfertigten Gewaltübergriffen seitens der Polizei auf. Von den 20 aufgeführten Beispielfällen sind 16 Personen ausländischer Herkunft. Laut Amnesty könne nur spekuliert werden, wie hoch die wahre Zahl von Opfern polizeilicher Gewalt in Deutschland sei, da es keine einheitlichen Statistiken und unparteiischen Gremien gäbe, die mögliche Übergriffe kontrollieren und Beschwerden nachgehen könnten. Die Schaffung solcher unabhängigen Stellen gehört deshalb zu den Hauptforderungen des Berichts, ebenso die Unterzeichnung des UN-Zusatzabkommens zur Anti-Folter-Konvention. Diese würde unangemeldete Besuche in Gefängnissen oder Polizeiwachen ermöglichen, scheiterte bislang aber am Widerstand der Länder.

Auch der ai-Bericht befasst sich mit der juristischen Dimension des Themas. Berichte über Misshandlungen durch Polizisten würden oft nicht an die zuständigen Gerichte weitergeleitet oder es verstrichen Jahre bis zur Anklageerhebung. „Schuldig gesprochene Polizisten erhalten bisweilen Strafen, die in keinem Verhältnis zur Schwere der Tat stehen", so Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von ai-Deutschland. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen), begrüßte den Bericht und schloss sich den Forderungen an. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), bezeichnete die Vorwürfe des Berichtes als ernstzunehmend, gerade vor dem Hintergrund, dass vor allem Ausländer von polizeilicher Gewalt betroffen seien. Als „bedauerliche Einzelfälle" wertete dagegen der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, die beschriebenen Übergriffe. Fast 90% der Anzeigen gegen Ordnungshüter erwiesen sich nach einer Untersuchung als haltlos. Auch der Richterbund wies die Vorwürfe zurück.

Die Ergebnisse beider Dokumentationen sind jedoch nicht neu. Schon in der 90er Jahren hatten das Anti-Folterkomitee des Europarates und der UN-Ausschuss zur Beseitigung von Rassendiskriminierung wegen deutscher Polizeigewalt gegen Ausländer Besorgnis geäußert, insbesondere bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Auch Amnesty machte bereits 1995 und 1997 Beispiele von Polizeiübergriffen in Deutschland bekannt, in denen die Mehrzahl der Opfer ausländischer Herkunft war. chw

Weitere Informationen unter:
www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/AlleDok/57B2A154F469EEC8C1256E1A00399A5E?Open
www.aktioncourage.org

chw

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