Deutschland: Schily schlägt Asyllager in Afrika vor

16. August 2004

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat die Europäische Union zur Einrichtung von Auffanglagern für Asylbewerber in Nordafrika aufgefordert. Damit löste er Mitte Juli eine parteiübergreifende Debatte aus.

Anlass für Schilys Vorschlag waren die vorangegangenen Ereignisse um das deutsche Schiff „Cap Anamur". Es hatte im Mittelmeer in der Nähe italienischer Hoheitsgewässer 37 Afrikaner aus Seenot gerettet und nach drei Wochen des Wartens vor der sizilianischen Küste schließlich nach Italien gebracht.

Dort stellten die Afrikaner einen Asylantrag. Außer in einem Fall wurden die Anträge abgelehnt und die meisten Betroffenen inzwischen in ihre Heimatländer abgeschoben. Strittig war die Frage nach der Zuständigkeit für die Flüchtlinge sowie deren vermeintlich sudanesische Herkunft. Außerdem verdächtigen die italienischen Behörden die Organisation Cap Anamur, die sich seit 25 Jahren der Rettung von Schiffbrüchigen widmet, der Beihilfe zur illegalen Einwanderung.

Die Flüchtlinge waren am 20. Juni in internationalen Gewässern aus einem treibenden Schlauchboot an Bord genommen worden. Nach einigen Tagen versuchte die Cap Anamur sie nach Italien zu bringen, wo die Verantwortlichen jedoch ihre Zuständigkeit bestritten. Zwischenzeitig wurde über ein Asylgesuch der Flüchtlinge in Deutschland spekuliert, ehe die italienischen Behörden einlenkten und sie an Land ließen. Der Vorwurf des Schleusertums blieb bestehen, weshalb drei Besatzungsmitglieder der Cap Anamur zunächst in Haft genommen, nach vier Tagen jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Dennoch sollen sie in Italien angeklagt werden. Obwohl die Bundesregierung gegen die Inhaftierung protestierte, vermutete auch Schily Schleuserei und sprach von einem „schwerwiegenden Sachverhalt" sowie einer „fernsehreifen Inszenierung".

Nach Angaben der italienischen Polizei stammte keiner der Flüchtlinge, wie zunächst behauptet, aus der sudanesischen Krisenregion Darfur, vielmehr kamen sie aus Ghana, Nigeria und Niger. Der Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur Elias Bierdel kritisierte das Vorgehen der italienischen Behörden heftig: „Angesichts des tagtäglichen Dramas auf dem Mittelmeer ist das ein Skandal - nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa." Sowohl die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) als auch Ärzte ohne Grenzen (MsF) warfen Italien einen Verstoß gegen internationales See- und Flüchtlingsrecht vor. Dabei beriefen sie sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die Kollektivausweisungen für unzulässig erklärt, sowie auf die Dubliner Konvention, die die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bei der Überprüfung von Asylgesuchen regelt.

Mit seinem Vorschlag, durch die Einrichtung von Auffanglagern „Afrikas Probleme in Afrika selbst zu lösen", ist Innenminister Schily in der Folge weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Schily sprach von einem möglichen Arbeitsthema für die EU-Innenminister in den nächsten fünf Jahren. Er sehe darin die Chance, Lehren aus dem Vorfall um die Cap Anamur zu ziehen und die illegale Einwanderung über das Mittelmeer zu verringern. Laut Schily sollten Flüchtlinge bei einer vorgelagerten Asylprüfung in Nordafrika weder einen Anspruch auf deutsche Rechtsstandards und gerichtliche Überprüfung der Entscheidung haben, noch einen Antrag auf Asyl in einem EU-Staat stellen können. Vielmehr sei bei anerkanntem Fluchtgrund eine Unterbringung nahe ihrer Heimat anzustreben. Nach Kritik von Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und Parteien schwächte Schily seinen Vorstoß ab, indem er nur noch von einer Überlegung sprach, die durch internationale Abkommen gedeckt werden muss. Grundsätzlich aber hielt er an der Idee fest. Schily sorgte für Verwunderung, vor allem weil er damit an einen im vergangenen Jahr innerhalb der EU bereits abgelehnten Vorschlag Großbritanniens anknüpfte. Dieser hatte vorgesehen, Lager für Asylsuchende jenseits der EU-Außengrenzen zu schaffen. Weiter als Schily war das britische Modell in der Forderung gegangen, bereits in Europa befindliche Flüchtlinge in diese Lager zu bringen, bis über ihren endgültigen Verbleib entschieden ist (vgl. MuB 6/03).

Der parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, nannte die Vorstellung „atemberaubend", Flüchtlinge etwa in Libyen unterzubringen, das vor kurzem noch als Verbrecherstaat boykottiert worden ist. Es gebe kein europäisches Flüchtlingsrecht, das in Nordafrika anwendbar sei. In den Reihen der Grünen war der Widerstand gegen die Idee des Innenministers am größten. Auch SPD-intern und in der FDP wurden die Auffanglager weitgehend abgelehnt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) unterstützt die Pläne nach den Worten eines Regierungssprechers, während Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) Kritik an ihnen übte. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, nannte den Vorschlag „völlig unausgegoren". Bayerns Innenminister Günther Beckstein und andere CSU-Vertreter sprachen von einer vernünftigen Idee. Die Flüchtlingshilfe-Organisation Pro Asyl entgegnete, Schilys Vorschlag sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. „Das wäre das Ende des internationalen Flüchtlingsschutzes", erklärte ein Sprecher. Die Schutzbedürftigkeit, müsse in einem fairen Verfahren innerhalb eines europäischen Staates geprüft werden. Beim Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) lehnt man das Modell nicht grundsätzlich ab. Andere Ideen seien zwar besser, so UNHCR-Sprecher Stefan Terlöken, aber wenn die Lager den Flüchtlingsschutz verbesserten, sei der Vorschlag zumindest zu prüfen. chw

Weitere Informationen:
www.proasyl.de/presse04/aug02.htm

chw

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