Deutschland/Italien/EU: Pläne für Asyllager konkretisiert

3. Oktober 2004

In der Debatte um Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika drängen Deutschland und Italien gemeinsam auf eine politische Umsetzung. Mitte August hatten der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) und sein italienischer Amtskollege Guiseppe Pisanu (Forza Italia) vereinbart, demnächst in der EU eine Initiative zur Einrichtung von Transitlagern für Migranten in Libyen und anderen Staaten Nordafrikas einzubringen. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Forza Italia) reiste daraufhin nach Libyen, um mit dem dortigen Machthaber Muammar al-Gaddafi über die Errichtung solcher Lager zu sprechen.

Über konkrete Beschlüsse bezüglich der Auffanglager wurde bisher nichts bekannt. Sicher ist, dass sich italienische Streitkräfte und Ordnungseinheiten künftig an der Überwachung der libyschen Hoheitsgewässer beteiligen, erklärte ein Sprecher Berlusconis.

So könne der Menschenhandel wirksamer bekämpft werden. Libyen werde seinerseits die Kontrollen im Landesinneren und an den Küsten verstärken. Der nordafrikanische Staat ist derzeit das wichtigste Transitland für Flüchtlinge und Auswanderer aus Afrika südlich der Sahara. Besonders die zwischen Libyen und Italien gelegene kleine italienische Insel Lampedusa war in den vergangenen Monaten verstärkt Flüchtlingsziel geworden (vgl. MuB 9/03). Ein Anlass für den Vorschlag für Auffanglager war auch der Konflikt um das deutsche Flüchtlingsschiff „Cap Anamur“ gewesen. Es hatte im Mittelmeerraum 37 Afrikaner in Seenot gerettet und nach Italien gebracht (vgl. MuB 6/04).

Unabhängig vom Plan der Auffanglager hatte sich Berlusconi am Vorabend seiner Tripolis-Reise mit seinem Innenminister Pisanu auf eine Lockerung des italienischen Einwanderungsgesetzes („Bossi-Fini“) verständigt. Pisanu forderte, die Quoten für die nachträgliche Legalisierung illegaler Einwanderer oder die Gewährung von Asyl zu erhöhen, um den Markt an billigen Arbeitskräften zu sättigen.

Neben den Unternehmerverbänden unterstützte die Vereinigung der Landwirte den Vorstoß zur Liberalisierung des Einwanderungsrechts. Das „Bossi-Fini-Gesetz“ regelt seit zwei Jahren Einwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Gegenüber den von früheren Mitte-Linksregierungen verabschiedeten Gesetzen verschärfte es die geltenden Regelungen. Das Flüchtlings-Hochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass durch das Gesetz die international anerkannten Rechte von Flüchtlingen nicht gewährleistet seien.

Bereits vor Berlusconis Tripolis-Besuch hatten die Innenminister von Deutschland und Italien eine gemeinsame Initiative auf EU-Ebene für Flüchtlingslager in Nordafrika angekündigt. Pisanu und Schily wollen Anfang Oktober in Florenz ihren EU-Kollegen ein Konzept vorlegen. Danach soll eine Einrichtung geschaffen werden, die außerhalb der EU-Grenzen Asylgesuche entgegennimmt und prüft. Sie soll anerkannte Flüchtlinge einem Drittland zuweisen. Asyl in Europa sollen die Flüchtlinge nur auf freiwilliger Basis der jeweiligen Staaten erhalten. Zugleich ist zur Reduzierung der illegalen Migration eine Verwaltungsstelle außerhalb Europas vorgesehen, bei der EU-Staaten ihren Bedarf an legalen Einwanderern anmelden können.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen reagierten verärgert über Schilys Pläne, die in der Koalition offenbar nicht abgestimmt waren. Er verspüre darüber „erheblichen Unmut“ sagte Dieter Wiefelspütz (MdP, SPD), Innenpolitik-Experte seiner Fraktion. Schily werde nun unverzüglich im Innenausschuss Rede und Antwort stehen müssen. Der Innenminister lege „die Axt an den Koalitionsvertrag“, sagte der migrationspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, Josef Winkler.

CDU und CSU forderten Schily auf, seine Pläne umgehend zu präzisieren. Ebenso wie Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der bereits vor Wochen Unterstützung für Schilys Pläne signalisiert hatte, kam Zustimmung vom Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt (SPD): „Die Menschen in Afrika brauchen Flüchtlingseinrichtungen für eine erste Hilfe.“ Unterstützung erhielten die Innenminister Deutschlands und Italiens auch vom designierten EU-Kommissar für Inneres und Justiz, Rocco Buttiglione (PPI). „Eine gute Idee“, lobte der amtierende italienische Europaminister, der demnächst für die EU-Ausländer- und Flüchtlingspolitik zuständig sein wird. Die vorgeschlagenen Auffanglager könnten die illegale Einwanderung beschränken und zugleich jene abschrecken, die Unruhe stifteten. Insgesamt plädierte Buttiglione für eine strenge Flüchtlingspolitik: „Es ist nicht wahr, dass irgendjemand das Recht hat, zu uns zu kommen. Dieses Land gehört vorerst den Europäern.“

Im Haus des noch bis Oktober zuständigen EU-Kommissars für Justiz und Inneres, António Vitorino, wird bereits an einem Modell gearbeitet, Flüchtlinge künftig in bzw. nahe der jeweiligen Krisenregion unterzubringen. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) denkt über derartige Lösungen nach. Sie unterscheiden sich dadurch von dem Schily-Vorschlag, dass eine spätere Einreise nach Europa dabei ausgeschlossen wird. Anerkannte Asylbewerber sollen zum Beispiel in nordafrikanischen Lagern versorgt werden, bis sich die Lage in ihrer Herkunftsregion verbessert hat. Die Kommission hat mit mehreren Ländern entsprechende Verhandlungen aufgenommen. Im Gegenzug bietet die EU höhere Entwicklungshilfe und eine Einwanderungsquote für Staatsbürger des kooperationswilligen Landes an.

Unterdessen ist die Zahl der Asylbewerber aus Afrika in Deutschland rückläufig. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAFl) stellten im ersten Halbjahr 2004 4.392 Afrikaner erstmals einen Asylantrag in Deutschland. Im gleichen Vorjahreszeitraum waren es noch 5.264 gewesen. Dies entspricht einem Rückgang um 16,5 %. Insgesamt wurden von Januar bis Juni 18.682 neue Asylanträge gestellt. Da sich die EU-Staaten darauf geeinigt haben, dass stets das erste Einreiseland für Flüchtlinge zuständig ist, hat Deutschland nur noch mit den per Flugzeug Einreisenden zu tun und jenen, deren Einreiseweg nicht nachvollzogen werden kann. Die Zahl der afrikanischen Asylbewerber sinkt bereits seit längerem. Im gesamten Jahr 2003 wurden 9.997 Anträge von Afrikanern registriert, im Jahr 2002 waren es noch 11.768 gewesen. chw

Weitere Informationen:
www.cittadinitalia.it
www.bafl.de/template/index_asylstatistik.htm

chw

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