Der Fall des deutschen Flüchtlingsschiffes Cap Anamur, Asylanlaufstellen in Nordafrika und Massenabschiebungen in Italien – die Europäische Union diskutiert eine gemeinsame Regelung der Asyl- und Migrationspolitik.
Der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) hat auf der Konferenz der EU-Innen- und Justizminister am 1. Oktober 2004 im niederländischen Schevenigen sein Konzept vorgestellt, in einigen ausgewählten nordafrikanischen Ländern Asylanlaufstellen für Migranten ohne gültige Einreisepapiere für Europa einzurichten. Würden Asylsuchende und andere Migranten in internationalen Gewässern aufgegriffen, könnten sie in diese Aufnahmezentren gebracht werden und ein provisorisches Asylverfahren außerhalb Europas durchlaufen. Lebensgefährliche Versuche, mit Hilfe von Schleusern illegal auf dem Wasserweg nach Europa zu gelangen, würden damit reduziert. Schily sagte, es sei nicht hinzunehmen, „dass Menschen dort in großer Zahl ihr Leben riskieren und ihr Leben verlieren“. Andererseits müsse „die illegale Migration, die sich in großem Umfange über das Mittelmeer bewegt, abgewehrt, unterbunden werden“. Schilys Vorschlag wurde zurückhaltend, aber keineswegs ablehnend entgegengenommen und sorgte für einen neuen Anstoß in der europaweiten Debatte um Flüchtlinge, illegale Migranten und die Vorfälle im Mittelmeer.
Auf dem Treffen wurde ein Pilotprojekt beschlossen, mit dessen Hilfe ein geordnetes Asylsystem in Nordafrika nach europäischem Vorbild aufgebaut werden soll. Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) unterstützen die nordafrikanischen Staaten Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien dabei, ein solides Asylsystem aufzubauen und europäische Standards bei der Flüchtlingsaufnahme zu erreichen. Bedingung für die Zusammenarbeit ist, dass die Länder die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und deren Zusatzprotokoll von 1967 ratifizieren. So sollen die Bedingungen vor allem für jene verbessert werden, die in Nordafrika Asyl suchen.
Ähnliche Vorstellungen hat auch die Europäische Kommission. Sie will auf dem EU-Gipfel im November ein Konzept vorstellen, das Richtung und Ziel einer gemeinsamen Asylpolitik beinhaltet. Es gilt als wahrscheinlich, dass Schilys Ideen in die Planung der zukünftigen EU-Asylpolitik mit einbezogen werden.
Im Europäischen Parlament stießen die Pläne einer Auslagerung der Asylpolitik jedoch auf Widerstand. In seiner Sitzung am 14. Oktober sprach sich das Parlament gegen das Konzept aus. Probleme sieht es vor allem in der Garantie, die Grundrechte von Schutzbedürftigen und verfolgten Flüchtlingen zu wahren.
Zustimmung zu Schilys Vorschlägen und die Forderung nach weiteren Pilotprojekten kam aus Großbritannien und Dänemark. Auch Polen und Österreich begrüßten die Vorschläge Schilys, sehen aber zusätzlichen Bedarf für Asylanlaufstellen in der Ukraine, um mit tschetschenischen Flüchtlingen umgehen zu können. Bedenken äußerten hingegen Irland, Schweden, Spanien, Portugal und Frankreich. Die französische Regierung fürchtet vor allem, dass Schlepper diese Auffang- bzw. Transitzentren als Basis ihrer illegalen Aktivitäten nutzen und die EU somit „mafiöse Strukturen“ fördern könnte. Frankreichs Außenminister Michel Barnier setzte sich für die Zusammenlegung von Entwicklungshilfe und Asylpolitik ein. Sein spanischer Kollege Miguel Angel Moratinos ergänzte, dass es bessere Lösungen gäbe.
Auch auf dem G5-Gipfel am 18. Oktober in Florenz konnten die Innen- und Justizminister von Italien, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Deutschland keine Einigung erzielen.
Die Außenminister Portugals, Frankreichs, Spaniens und Italiens lehnen die Vorschläge ab, eine „EU-Außenstelle“ zur Bearbeitung von Asylanträgen einzurichten. Vielmehr sei es entscheidend, die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung als Schlüssel zur Eindämmung der Migration zu begreifen. Die EU-Mittelmeerstaaten schlugen vor, Mittel aus den Regionalfonds der EU in die Nachbarländer am Mittelmeer umzuleiten. Dabei soll ähnlich wie bei den Strukturhilfefonds für ärmere Regionen in der EU vorgegangen werden.
Undeutlich in der Debatte blieb die Position Italiens, denn entgegen den Äußerungen des italienischen Außenministers Franco Frattini (Forza Italia) ist sein Ministerialkollege, Innenminister Giuseppe Pisanu (Forza Italia), Befürworter einer Auslagerung der Asylpolitik. Allerdings plädiert er auch für bilaterale Lösungen: Seit Anfang Oktober werden die auf der italienischen Insel Lampedusa ankommenden Flüchtlinge im Schnellverfahren nach Libyen zurückgebracht (vgl. MuB 7/04). Die italienischen Behörden kündigten bereits eine vollständige Evakuierung der Aufnahmeeinrichtung an (vgl. Artikel diese Ausgabe).
Während der italienische Sonderweg von nationalen und internationalen Organisationen heftig kritisiert wird, stößt der deutsche Innenminister mit seinen Vorschlägen auch auf Zustimmung: Cap Anamur-Gründer Rupert Neudeck sagte, dass aufgrund des immer größer werdenden Migrationsstroms auch unkonventionelle Lösungen nötig seien.
In Deutschland werden Schilys Vorschläge zwar kritisiert. Parteien und Organisationen begrüßen jedoch, dass die Debatte erneut angestoßen wurde und nun auf europäischer Ebene verhandelt wird. Thomas Hummitzsch, Humboldt-Universität Berlin
Weitere Informationen:
http://www.bmi.bund.de/nn_122778/Internet/
http://www.otto-schily.de/artikel/artik_14.html
http://www.europa.eu.int/scadplus/leg/de/s17000.htm#ASILE
http://www.europa-digital.de/aktuell/dossier/asyl/
http://www.cap-anamur.de