Heiratsmigration nach Deutschland

16. Dezember 2005

Nach Deutschland findet derzeit verstärkt Zuwanderung in Verbindung mit Eheschließungen statt. Dabei ist u. a. ein Wandel der Herkunftsländer zu beobachten.

Heiratsmigration nach Deutschland hat es zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß immer gegeben. Dabei handelt es sich um freiwillige Heiratsmigration, häufig von Frauen aus wirtschaftlich schwächeren Ländern in westeuropäische Länder, um arrangierte Ehen, aber auch um Formen des Menschenhandels.

Von interethnischer Heiratsmigration wird im Folgenden gesprochen, wenn aus Sicht der Betroffenen, meistens Frauen, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Wanderungsgeschehen und einer Eheschließung über Ländergrenzen gegeben ist, ohne dass es sich beim Partner um denselben ethnischen Hintergrund handelt. Heiratsmigration erfolgt aus unterschiedlichen Motiven und nimmt verschiedene Formen an. Präzise Zahlen lassen sich nur schwer ermitteln, denn die Aussagekraft der amtlichen Statistik ist sehr begrenzt.

Zunahme bei der Heiratsmigration von Frauen: Entgegen dem allgemein rückläufigen Trend bei den Eheschließungen in Deutschland nehmen interethnische Ehen seit Jahren deutlich zu. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 1989 rund 36.000 Ehen zwischen Deutschen und Nichtdeutschen geschlossen. Im Jahr 2004 waren es bereits 60.198 Eheschließungen. Das sind fast 16 % aller Ehen, die im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik geschlossen wurden.

Bei der Zunahme gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Im Zeitraum 1989-2000 hat sich die Zahl der Eheschließungen zwischen deutschen Männern und ausländischen Frauen etwa verdoppelt (1989: 15.670; 2000: 31.517), während die Zahl der Ehen zwischen ausländischen Männern und deutschen Frauen nur um rund 18 % stieg (1989: 20.216; 2000: 24.535). Dies kann als ein Indiz für die Zunahme von Heiratsmigration von Frauen gewertet werden.

Einen weiteren Hinweis darauf liefern die Zuwandererzahlen aus Entwicklungs- und Schwellenländern wie Thailand und Brasilien. Diese zählen seit den 1970er Jahren als „klassische Herkunftsländer“ für interethnische Heiratsmigration: Von mehr als 6.800 Zuzügen aus Thailand nach Deutschland im Jahr 2002 sind 80 % Frauen. Der Frauenanteil der rund 4.700 Einwanderer aus Brasilien lag im selben Jahr bei 75 %. Ende 2004 lebten 27.176 brasilianische Staatsbürger, davon 20.422 Frauen (75 %), und insgesamt 48.789 Menschen mit thailändischer Staatsangehörigkeit, darunter 41.779 Frauen (86 %), in Deutschland.

Aktuelle Herkunftsländer: Schätzungen gehen davon aus, dass die Heiratsmigration zwischen westeuropäischen Männern und asiatischen Frauen insgesamt stagniert, während die Eheschließungen mit Frauen aus Mittel- und Osteuropa in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Als wichtige Herkunftsländer sind hier vor allem Polen, Tschechien sowie die Russische Föderation zu nennen.

Am häufigsten schlossen 2003 deutsche Männer eine interethnische Ehe mit einer polnischen Frau (5.371 Eheschließungen). 1984 lag die Zahl der Eheschließungen zwischen deutschen Männern und polnischen Frauen noch bei 634 (Westdeutschland). Diese Tatsache verweist auf ein drittes, deutliches Indiz für die Zunahme weiblicher interethnischer Heiratsmigration: Ehen mit Partnerinnen aus den ehemaligen Ostblockstaaten nehmen seit Ende der 1980er Jahre sprunghaft zu. Zu beobachten ist dies besonders bei Eheschließungen von Frauen aus Ländern wie Rumänien, Litauen, der Ukraine und Weißrussland mit deutschen Männern, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Auch Eheschließungen mit Brasilianerinnen nehmen seit Ende der 1980er Jahre weiter zu.

An zweiter Stelle stehen Eheschließungen zwischen deutschen Männern und russischen Frauen (2003: 2.545). Mit 2.535 Ehen zwischen thailändischen Frauen und deutschen Männern ist Thailand die dritthäufigste an interethnischen Ehen in Deutschland beteiligte Nation.

Zwar sind auch Männer an Migration in Verbindung mit einer Heirat nach Deutschland beteiligt, jedoch in wesentlich geringerem Ausmaß. Die Zahl der Eheschließungen von deutschen Frauen mit einem polnischen Mann lag im Jahr 2003 bei 946, mit einem Thailänder bei 26 und mit einem brasilianischen Mann bei 66.

Neben Thailand und Brasilien gelten auch die Philippinen als ein Land mit einer hohen Anzahl an Frauen, die heiratsbedingt auswandern. Die Zahl der in Deutschland geschlossenen Ehen mit einer Philippinin ist im Gegensatz zu den anderen beiden Ländern nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rückläufig (1993: 1.042 Ehen, 2003: 368). Dennoch lag der Anteil der Frauen unter allen philippinischen Zuwanderern in Deutschland im Jahr 2004 bei 81 %.

Beschränkte Aussagekraft amtlicher Statistik: Diese Zahlen sagen insgesamt wenig über das tatsächliche Ausmaß der Heiratsmigration aus. In der offiziellen Statistik tauchen nur Eheschließungen auf, die vor einem deutschen Standesamt oder in einem deutschen Generalkonsulat im Ausland geschlossen wurden. Viele Paare entschließen sich im Ausland zu heiraten, weil dies häufig mit weniger Bürokratie verbunden ist oder weil es für den ausländischen Partner unmöglich ist, die für die Eheschließung in Deutschland erforderlichen Unterlagen vorzulegen.

Paare, die im Ausland geheiratet haben, stellen in Deutschland in der Regel einen Antrag auf Familienzusammenführung. Ehepartner, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind und über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen, erhalten im Scheidungsfall ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Voraussetzung ist, dass die Ehe seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig Bestand hatte (Aufenthaltsgesetz § 31 (1)). Ausnahmen bestehen bei besonderer Härte, wenn z. B. die Frau von ihrem Ehemann schwer misshandelt oder zur Prostitution gezwungen wurde. In solchen Fällen kann von der Mindestbestandsdauer der Ehe abgesehen werden (Aufenthaltsgesetz § 31 (2)).

Motive: Die Zunahme von Wanderungen in Verbindung mit einer Heirat aus wirtschaftlich schwächeren Ländern hat vor allem folgende Gründe: Flucht vor Armut, die Hoffnung auf wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg oder die Existenzsicherung der Kinder. Für viele ärmere und wenig qualifizierte Frauen aus Nicht-EU-Staaten stellt sie darüber hinaus die einzige Möglichkeit dar, in Deutschland eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis zu erhalten. Aber auch gut ausgebildete Frauen legen große Hoffnung in die Eheschließung mit einem westeuropäischen Mann. Sie haben häufig den Wunsch nach einer Tätigkeit, die ihrem Qualifikationsniveau entspricht, bzw. beruflicher Weiterbildung.

Darüber hinaus ist anzunehmen, dass aufgrund der weltweit wachsenden Mobilität auch die Zahl der Paare steigt, die sich privat, beruflich oder auf Reisen kennen lernen, und in denen Partner aus einem Drittstaat ohne eine Eheschließung nicht dauerhaft im Land bleiben könnten.

Wege der informellen und professionellen Kontaktanbahnung: Bei der Entstehung internationaler Heiratsagenturen spielt die Zunahme an Individual- und Massentourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer seit den 1970er Jahren eine wesentliche Rolle: „Pionierehen“ zwischen schon vermittelten Paaren führten nicht selten zum Aufbau von semiprofessionellen Vermittlungsagenturen, die sowohl im Herkunftsland als auch im Zielland operieren. Die Grenzen zwischen professionellen und semiprofessionellen Agenturen sind dabei fließend.

Rein profitorientierte Agenturen bieten häufig eine Art „Rund-um-Service“ an: Zum einen stellen sie Kontakte zwischen potenziellen Ehepartnern her, zum anderen organisieren sie Flugtickets, Unterkünfte, Heiratsurkunden und Rundreisen im Herkunftsland. Nach Schätzungen der Autorin kann der Reingewinn eines solchen „Leistungspakets“ mit bis zu 20.000 Euro beziffert werden. Um den Gewinn der Agenturen zu steigern, werden die Frauen häufig nicht über Besonderheiten des potenziellen Ehemanns, z. B. eine Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder Alkoholsucht informiert. Die Geschäftsstrategien sind männerorientiert: Nur Männer können Frauen aktiv aus Katalogen „wählen“, nicht jedoch umgekehrt. Frauen können zwar einen vorgeschlagenen Mann ablehnen, dies bringt jedoch keinen zusätzlichen Gewinn für die Agentur. Mit Männern vereinbaren die Agenturen häufig ein so genanntes „Rückgaberecht“. Dann wird die Frau nach einer bestimmten Zeit wieder in das Herkunftsland zurückgeschickt. Erneute Vermittlungen bedeuten für die Agenturen wieder Einnahmen. Semiprofessionelle Agenturen sind zwar ebenfalls profitinteressiert, Motive wie familiäre Verpflichtungen und Solidarität spielen jedoch auch eine Rolle.

Eine relativ junge Entwicklung stellt die Vermittlung über das Internet dar. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit der Verbreitung des Internets diese Form erheblich zugenommen hat. Einer Studie der Wissenschaftlerin Riitta Varrti aus dem Jahr 2000 zufolge werden für den deutschen „Markt“ rund 70 % Frauen aus Osteuropa präsentiert, etwa 15 % Frauen aus Asien und ca. 10 % Frauen aus Lateinamerika. Genaue Zahlen über Agenturen und Internetseiten liegen bislang nicht vor.

Faktoren im Zielland und Problembewusstsein: Vor allem eine Reihe gesellschaftlicher Veränderungen im Zielland begünstigen die Zunahme von Heiratsmigration. Zum einen nahm die Zahl der Heiratsagenturen mit der wachsenden Zahl von Singles in den westeuropäischen Ländern in den letzten Jahrzehnten zu. Zweitens werden Ehen mit ausländischen Partnern in Deutschland heute gesellschaftlich wesentlich stärker akzeptiert als noch vor einigen Jahrzehnten. Drittens hat sich eine gewisse „Erlebnisorientierung“ in westeuropäischen Ländern herausgebildet, die den Grundstock für die Erwartung an eine „exotische“ Ehe bildet. Viertens erwarten westliche Männer von der Heirat mit einer Migrantin aus wirtschaftlich schwächeren Ländern häufig ein traditionelles Rollenverständnis und die Bewahrung konservativer Werte, die sie bei emanzipierten, berufsorientierten, westlichen Frauen seltener finden.

Viele Nichtregierungsorganisationen, u. a. Terre de Femmes, Imbradiva (Brasilianische Fraueninitiative gegen Diskriminierung und Gewalt), Agisra (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung e. V.), IAF e. V. (Verband binationaler Familien und Partnerschaft) und Amnesty for Women untersuchen z. T. mit finanzieller Unterstützung staatlicher Institutionen die Folgen von Heiratsmigration und weisen auf vielfältige Probleme der Migrantinnen im jeweiligen Zielland hin: mangelnde Sprachkenntnisse, die Nichtanerkennung von Bildungsabschlüssen bzw. das Fehlen einer Ausbildung, die Unkenntnis der eigenen Rechte, aber auch psychische und körperliche Belastungen durch Ausbeutung. Viele der Probleme führen langfristig zu sozialer Isolation und Depressionen.

Während Heiratsmigration in Verbindung mit Menschenhandel im öffentlichen Bewusstsein ein Problem darstellt, werden die Schwierigkeiten der freiwilligen Heiratsmigration häufig übersehen. Heiratsmigration wird zwar meist freiwillig eingegangen, ist jedoch mit großen Belastungen für die Migrantinnen verbunden. Nichtregierungsorganisationen weisen darauf hin, dass die Beratungsstrukturen für Heiratsmigratinnen in Deutschland nicht ausreichen. Das gilt v. a. für Frauen aus den aktuellen Herkunftsländern. Sabina Stelzig, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut

Weitere Informationen / Literaturhinweise:
Beer, B. (1996): Deutsch-Phillipinische Ehen. Interethnische Heiraten und Migration von Frauen. Berlin
Cahill, D. (1990): Intermarriages in International Contexts. A Study of Filipina Women Married to Australian, Japanese and Swiss Men. Quezon City
Heine-Wiedemann, D. und Ackermann, L (1992): Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels mit ausländischen Mädchen und Frauen. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Frauen und Jugend
Ruenkaew, Pataya (2003): Heirat nach Deutschland. Motive und Hintergründe thailändisch-deutscher Eheschließung. Frankfurt/ New York
Straßburger, Gaby (2003): Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext. Eheschließung der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. Würzburg
Varrti, Riitta (2000): Equal partners online? German Matchmaking Web Sites and Trafficking in Women. In: Morokvasic-Müller, M. Umut Erel und Kyoto Shinozaki (eds.): Crossing Borders and Shifting Boundaries. Vol.1: Gender on the move. International Women’s University, (S. 177-206)
Gulicová-Grethe, Maria (2004): Marriage Migration and the Significance of this Migration ssue in Germany. Country Study. Berlin Institute for Comparative Social Research. www.emzberlin.de/projekte_e/pj44_pdf/FinalReportGermany_Website.pdf
Legal Agenda for Migrant Prostitutes and Trafficked Women on the Internet: www.femmigration.net
Ratgeber für internationale Partnersuche: www.bvp-berufsverband.de/ratgeber.htm
Terre de Femmes e.V.: www.frauenrechte.de
Verband binationaler Familien und Partnerschaften: www.verband-binationaler.de/zahlenundfakten

Sabina Stelzig, HWWI

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