Am 12. Juli hat der zweite Integrationsgipfel in Berlin stattgefunden. Rund 90 Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft und zahlreichen Verbänden verabschiedeten einen „Nationalen Integrationsplan“. Dabei sind die Teilnehmer insgesamt rund 400 konkrete Selbstverpflichtungen eingegangen, die eine nachhaltige Integration von Zuwanderern möglich machen sollen.
Boykott des Integrationsgipfels
Drei Migrantenorganisationen – die Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland (FÖTED), die Türkische Gemeinde in Deutschland und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB – nahmen nicht am Integrationsgipfel teil. Sie protestierten damit gegen die neuen Nachzugsregelungen, die unlängst von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurden (vgl. MuB 6/07).
Das Fernbleiben der Organisationen wurde von vielen Seiten kritisiert. Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) sagte, der Boykott durch die türkischen Verbände sei ein „Bruch mit einer wirklich guten Zusammenarbeit”. Auch die türkischstämmige Frauenrechtlerin Seyran Ates bezeichnete das Fernbleiben der türkischen Verbände als „kontraproduktiv“. Der Berliner Migrationsbeauftragte Günter Piening (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte hingegen Verständnis: „Es ist von Seiten der Bundesregierung unterschätzt worden, wie tief verletzt die Migrantenverbände über die nicht gehörten Vorschläge zum Zuwanderungsgesetz gewesen sind.“
www.tuerkische-elternfoederation.de
www.tgd.de, http://www.ditib.de
Auf dem zweiten Integrationsgipfel am 12. Juli verabschiedeten die Teilnehmer den „Nationalen Integrationsplan“ und einigten sich darauf, die Integrationspolitik von Bund, Ländern und Kommunen auf gemeinsame Füße zu stellen (vgl. MuB 6/06). So soll das Gelingen einer nachhaltigen Integration gesichert werden. Von den in Deutschland lebenden rund 15 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund hätten zwar sehr viele „längst ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden“, gleichzeitig hätten jedoch in den letzten Jahren Probleme bei der Integration zugenommen, heißt es im Nationalen Integrationsplan.
Der Plan zur Verbesserung der Integrationserfolge setzt einerseits auf die stärkere Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren und Menschen aus Zuwandererfamilien und andererseits auf die intensive Einbindung aller am Integrationsplan Beteiligten. Insgesamt rund 400 Selbstverpflichtungen der Mitwirkenden sollen für Verbindlichkeit sorgen. Darüber hinaus haben verschiedene nichtstaatliche Organisationen zum Teil sehr konkrete Aufgaben übernommen, um zu einer erfolgreichen Integration von Zuwanderern beizutragen.
Beiträge von Bund, Ländern und Kommunen: Der Bund will für integrationsfördernde Maßnahmen jährlich etwa 750 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Davon sollen Integrationsmaßnahmen u. a. in den Bereichen Bildung, Sprache, Ausbildung und Erwerbsleben sowie bürgerschaftliches Engagement und Sport finanziert werden. So sollen z. B. die Ausrichtung des Erziehungs- und Bildungssystems auf frühe Sprachförderung sowie Modellprogramme zur Reintegration von Schulverweigerern die Grundlage für bessere Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund darstellen. Um v. a. jungen Migranten Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen, unterstützt und begleitet der Bund verschiedene Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, die deren Ausbildungsmöglichkeiten verbessern sollen. Dazu zählen auch die Bemühungen des Ausbildungspakts, junge Migranten beruflich stärker zu integrieren (vgl. MuB 9/06), oder die Initiative „Aktiv für Ausbildungsplätze“, die bis 2010 Unternehmer ausländischer Herkunft dafür gewinnen möchte, weitere 10.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung und in Betrieben soll die Zahl der Auszubildenden mit Migrationshintergrund erhöht werden (Integrationsplan, Kapitel 1).
Die Bundesländer einigten sich nach dem Prinzip „Einheit im Ziel – Vielfalt der Wege“ auf die gegenseitige Abstimmung der landesspezifischen Integrationsmaßnahmen sowie auf deren Einbettung in schlüssige Gesamtkonzepte. Die Leitlinie der Länderintegrationsmaßnahmen bildet das bereits bekannte Prinzip „Fördern und Fordern“ (vgl. MuB 4/07, 6/06).
Die Länder wollen Brennpunktschulen zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, um Klassen zu verkleinern oder um zusätzliches Lehrpersonal und sozialpädagogisches Fachpersonal zur Unterstützung der Lehrer einzustellen. Auch Kinderbetreuungseinrichtungen mit einem hohen Migrantenanteil sollen zusätzliche Fördermittel erhalten. Darüber hinaus soll der Zugang zu Gesundheits- sowie Pflege- und Betreuungsdienstleistungen für Senioren mit Migrationshintergrund verbessert werden (Kapitel 2).
Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, in der sich der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindetag zusammengeschlossen haben, regte die Kommunen und Städte an, Integration als kommunale Querschnittsaufgabe aufzufassen. Migranten sollen stärker für bürgerschaftliches Engagement gewonnen werden. Quartiersmanagement soll die Lebensverhältnisse in lokalen Brennpunkten verbessern. Hier sollen Netzwerke gebildet sowie soziale und kulturelle Leistungen angeboten werden, die die Identifikation mit der Wohnumgebung fördern. Einen Schwerpunkt soll auch die Stärkung des Engagements gegen Fremdenfeindlichkeit bilden (Kapitel 3).
Auf allen drei Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – soll der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund erhöht und die interkulturelle Kompetenz von Angestellten geschult werden.
Arbeitsgruppen und ihre Themenfelder
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AG 1: | „Integrationskurse verbessern“ |
AG 2: | „Von Anfang an die deutsche Sprache fördern“ |
AG 3: | „Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen“ |
AG 4: | „Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirklichen“ |
AG 5: | „Integration vor Ort“ |
AG 6: | „Kulturelle Pluralität leben - interkulturelle Kompetenz stärken“, „Integration durch Sport - Potenziale nutzen, Angebote ausbauen, Vernetzung erweitern“, „Medien - Vielfalt nutzen“, „Integration durch bürgerschaftliches Engagement und gleichberechtigte Teilhabe stärken“ und „Wissenschaft – weltoffen!“ |
Beiträge der Arbeitsgruppen: Im Anschluss an den ersten Integrationsgipfel im Juli 2006 waren sechs Arbeitsgruppen gebildet worden. Diese haben sich mit insgesamt zehn Themenfeldern befasst (siehe Box). Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen bildeten eine wichtige Grundlage des nun vorgelegten Nationalen Integrationsplans.
In den Arbeitsgruppen waren neben Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen auch Repräsentanten nichtstaatlicher Organisationen, u. a. von Migrantenverbänden, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden sowie aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Medien und Bildung beteiligt. Die Arbeitsgruppen haben in mehreren Treffen im Laufe der letzten 12 Monate jeweils Bestandsaufnahmen, Zielbestimmungen und integrationsfördernde Maßnahmen formuliert und in Abschlussberichten festgehalten (Kapitel 4).
Insgesamt enthält der Integrationsplan eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen sowie rund 400 z. T. sehr konkrete Selbstverpflichtungen diverser gesellschaftlicher Akteure. Einige Beispiele für konkrete Maßnahmen der Zivilgesellschaft werden im Folgenden vorgestellt:
Migrantenorganisationen: Die Türkische Gemeinde in Deutschland koordiniert eine Bildungskampagne für Eltern türkischer Herkunft mit dem Ziel, diese zu motivieren, sich stärker für die Bildung ihrer Kinder einzusetzen. Konkret sollen z. B. die Zahl türkischstämmiger Eltern- und Schülervertreter deutlich steigen sowie höhere Schulabschlüsse erreicht werden. Andere Migrantenvereine, u. a. mit Mitgliedern italienischer, spanischer und griechischer Herkunft, wollen verstärkt ergänzenden muttersprachlichen Unterricht anbieten.
Wirtschaft und Gewerkschaften: Die Handwerkskammern wollen ihre Ausbildungsberater zur gezielten Beratung von Unternehmern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund schulen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will im Hinblick auf interkulturelle und sprachliche Kompetenzen auf eine rasche und umfassende Weiterbildung von Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften und Erziehern drängen.
Medien: Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wollen künftig mehr über den Alltag von Menschen aus Zuwandererfamilien berichten. Dabei soll das Thema Islam eine große Rolle spielen. Zudem sollen mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund ausgebildet und eingestellt werden.
Sport: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) plant den Aufbau eines Netzwerkes „Integration“ zur Koordinierung lokaler bzw. regionaler Integrationsprojekte im Fußball. Zudem fördert er gemeinsam mit der Bundesregierung das Modellprojekt „Am Ball bleiben – Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung“.
Weitere Informationen:
www.migration-info.de/dum_doks/D_btd1605065.pdf
www.integrationsbeauftragte.de