Europa: Illegale Einwanderung als lukrativer Wirtschaftszweig konkurrierender Schleuserbanden

27. Juli 2000

Nach der Entdeckung von 58 toten chinesischen Migranten im Hafen von Dover (vgl. MuB 5/2000) steht der von internationalen Banden organisierte Menschenschmuggel erneut im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Als erste Reaktion organisierte die französische EU-Präsidentschaft dazu im Juli in Paris kurzfristig eine Konferenz, an der Spitzenbeamte und Experten teilnahmen.

Nach Schätzungen der International Organisation for Migration (IOM) wandern jährlich zwischen 300.000 und 500.000 Menschen illegal in Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Rund die Hälfte von ihnen stammt aus Krisengebieten, v.a. dem Kosovo, Afghanistan und dem Irak. Die andere Hälfte hofft durch den Gang ins Ausland auf bessere Arbeits- und Verdienstverhältnisse. Jedoch erfüllen nur die Wenigsten die Voraussetzungen für eine legale Einreise und Niederlassung, weshalb sich viele der Hilfe professioneller Menschenschmuggler bedienen. Auch bei den Toten von Dover handelte es sich allem Anschein nach um Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen die Provinz Fujian im Südosten Chinas mit Hilfe von Schleusern verlassen haben.

Das Einschleusen von Migranten durch organisierte Banden ist ein lohnendes Geschäft. Abhängig vom Zielland werden „Gebühren" von zum Teil über 100.000 Mark pro Person verlangt, welche die Einwanderer oft über Jahre in den Zielländern abarbeiten müssen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit in Europa durch Menschenschmuggel mit mehr als 10 Mrd. DM ein höherer Jahresumsatz als im internationalen Drogenhandel erzielt wird. Auf dem Markt international operierender Schleuser-Syndikate ist daher ein harter Kampf um Einflusssphären und potenzielle Migranten entbrannt. Mehrfach kam es in der Vergangenheit zu offen ausgetragenen Fehden rivalisierender Banden.

Nach Einschätzung der IOM stellt Deutschland nach wie vor das beliebteste Zielland für illegale Einwanderer dar. Nach Angaben des Jahresberichts des Bundesgrenzschutzes (BGS) wurden allein 1999 rund 38.000 Menschen beim illegalen übertritt an den Grenzen Deutschlands aufgegriffen. Zwar ist die Zahl der illegal Eingereisten im Vergleich zum Vorjahr rückläufig, doch stieg die Zahl der aufgegriffenen Schleuser im selben Zeitraum um 8% auf über 3.400 an. Die Zahl der Geschleusten nahm hingegen um 11,4% auf 11.100 Personen ab (vgl. MuB 7/1999). Der BGS sieht hierin ein deutliches Indiz für einen veränderten „Modus Operandi" der Schleuserorganisationen. Während sich diese in den Vorjahren auf das Schleusen von Großgruppen konzentrierten, ist nun ein Trend hin zu kleineren Personengruppen zu beobachten. Hauptaugenmerk der Grenzschützer liegt hierbei noch immer auf der deutsch-tschechischen Grenze. Allein hier wurden im Zeitraum des Jahres 1999 mehr als 1.000 Schleuser und rund 4.400 Geschleuste vorläufig festgenommen.

Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) sieht eine erhebliche Mitverantwortung der EU-Staaten an der derzeitigen Situation der illegalen Einwanderung. So heißt es in einer im Juli dieses Jahres veröffentlichten Studie, dass die derzeitige Politik europäischer Regierungen „Teil des Problems und nicht der Lösung" ist. Vor allen durch die restriktive Auslegung des Asylrechts würden Flüchtlinge zunehmend in die Illegalität gedrängt. Sammi Sandawi, Humboldt-Universität Berlin

Ausgabe: