Spanien ist innerhalb weniger Jahrzehnte von einem traditionellen Auswanderungsland zu einem der wichtigsten Einwanderungsländer in Europa geworden. Die Auswanderung nach Lateinamerika und in den 1960er und 1970er Jahren in die europäischen Staaten war mit dem Anwerbestopp 1973/74 drastisch zurückgegangen. Stattdessen setzte langsam eine Zuwanderung nach Spanien ein, die seit Ende der 1990er Jahre drastisch anwuchs. Ende 2005 lag die Zahl der vergebenen Aufenthaltstitel bereits bei rund 2,7 Mio. Auf der Basis der kommunalen Melderegister (padrón municipal) ist der Umfang der ausländischen Wohnbevölkerung für den 1. Januar 2005 sogar mit rund 3,7 Mio. Personen anzusetzen (siehe Grafik). Ausländer stellten demnach zu Beginn des Jahres 2005 rund 8,5 % der Bevölkerung von 44,1 Mio. Menschen insgesamt.
Politisch-rechtliche Entwicklungen: Die Entwicklung der spanischen Migrationspolitik ist gekennzeichnet von der langsam heranreifenden Erkenntnis, ein Einwanderungsland zu werden bzw. zu sein. Entsprechend wurden die Regelungen immer wieder an die bestehenden Verhältnisse angepasst. Im Vordergrund standen stets Kontrollaspekte, während neuen Herausforderungen wie den Fragen der Integration erst allmählich mehr Raum gegeben wurde. Die letzten Jahre waren von ständigen Reformen geprägt. So trat im Jahr 2000 das neue „Gesetz über die Rechte und Freiheiten der Ausländer und ihre soziale Integration“ (Ley Orgánica 4/2000) in Kraft. Es handelte sich um ein modernes, flexibles Gesetz, das seinen Schwerpunkt auf Bestimmungen legte, die unter Beibehaltung aller Kontrollen eine legale Einwanderung und die soziale Integration ermöglichen sollten. Nach dem Regierungswechsel mit den Wahlen im März 2000 verschärfte die konservative Regierung der Volkspartei jedoch wenige Monate später das Gesetz (Ley Orgánica 8/2000). Verschiedene Rechte wurden zurückgenommen, die auch Ausländern zugestanden worden waren, die sich irregulär in Spanien aufhalten. Der restriktive Zug der Migrationspolitik der Volkspartei führte 2003 zu weiteren Verschärfungen bei Ausweisung und Familienzusammenführung sowie bei der Ahndung von Beihilfe zu illegaler Einwanderung.
Die heutige sozialistische Regierung bemüht sich seit dem erneuten Regierungswechsel 2004 um einen liberaleren und an mehr Konsens orientierten Umgang mit dem Thema Einwanderung. Das Gesetz blieb unverändert, aber die Regierung erließ Ende 2004 eine neue, liberalere Ausführungsverordnung. Diese sieht eine stärkere Betonung legaler, an Arbeitsaufnahme gebundener Einreisemöglichkeiten vor. Zudem fand 2005 eine Legalisierungsaktion für Zuwanderer statt, die ohne Aufenthaltsstatus im Land lebten. Es wurden über 691.000 Anträge gestellt und 577.000 positive Entscheidungen gefällt. Damit handelte es sich um die mit Abstand umfangreichste Legalisierungsmaßnahme in Europa.
Neu ist die Einrichtung eines Integrationsfonds (2005: 120 Mio.; 2006: 182 Mio. Euro), der den autonomen Gemeinschaften und den Kommunen zugute kommt. Aus ihm sollen Maßnahmen zur Aufnahme und Integration von Einwanderern sowie speziell zur schulischen Erziehung von jugendlichen Migranten gefördert werden. Zudem wurde im Juni 2006 ein umfassender „Strategischer Plan zur bürgerlichen und sozialen Integration von Einwanderern“ (Plan Estratégico de Ciudadanía e Integración) für die Jahre 2006-2009 vorgelegt, der mit 2 Mrd. Euro dotiert sein soll.
Flucht und Asyl: Asyl hat in Spanien nie eine besonders große Rolle gespielt. Das 1984 verabschiedete Asylgesetz wurde 1994 reformiert und an die europäischen Verträge von Schengen und Dublin angepasst. Seitdem gibt es in Spanien ein Vorverfahren bei der Prüfung von Asylanträgen, um offenkundig missbräuchliche oder unbegründete Anträge vom Verfahren auszuschließen. Die geringe Attraktivität als Asylland könnte zum Teil damit zusammenhängen, dass es angesichts geringer Anerkennungsquoten für Flüchtlinge einfacher erscheinen konnte, nach der Einreise keinen Asylantrag zu stellen, sondern „unterzutauchen“ und später den Weg zum Aufenthaltsrecht über eine Regularisierung zu suchen. Gegenwärtig liegen die Zahlen bei etwas mehr als 5.500 Antragstellern pro Jahr, wobei seit einigen Jahren Asylbewerber aus Nigeria die größte Gruppe stellen.
Staatsbürgerschaft: Das spanische Staatsbürgerschaftsrecht ist in den letzten Jahren mehrfach verändert worden (1982, 1990, 1995, 2002). Die Änderungen bezogen sich vor allem auf Personen, die einmal Spanier gewesen waren oder von diesen abstammen. Ihnen sollte der Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft und damit die (Re-)Integration erleichtert werden. Entsprechend der historischen Verbindungen werden Lateinamerikaner bei der Einbürgerung bevorzugt. Sie müssen statt der üblichen zehn Jahre nur zwei Jahre Aufenthalt nachweisen.
Doppelte Staatsbürgerschaft ist nach der in der Verfassung gegebenen Möglichkeit mit diversen lateinamerikanischen Staaten vertraglich geregelt. Liegt kein Vertrag vor, tritt bei der Annahme einer lateinamerikanischen Staatsbürgerschaft auch sonst kein Verlust der spanischen ein. Bei Annahme einer nicht-lateinamerikanischen Staatsbürgerschaft lässt Spanien nur auf Antrag einseitig den Erhalt der spanischen Nationalität zu.
Irreguläre Migration: Ein zentrales Problem der Einwanderung in Spanien ist der irreguläre Aufenthalt. Er erfolgt hauptsächlich durch Visa-Überschreitung, also die Ausdehnung des Aufenthalts über die erlaubte Dauer nach legaler Einreise. Die tatsächliche illegale Einreise – in Form der Überfahrt von Nordafrika über die Straße von Gibraltar oder zu den Kanarischen Inseln - hat einen sehr viel geringeren Umfang, auch wenn sie in den Medien eine größere Aufmerksamkeit erfährt. Als Gegenmaßnahme hat Spanien u. a. ein Überwachungssystem (Sistema Integral de Vigilancia Exterior, SIVE) installiert, das mit Langstreckenradaren, Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräten, Infrarotstrahlen, Helikoptern etc. im Verbund die Meereswege „abschließen“ soll. Als Reaktion verschieben sich die Migrationsrouten. Die Boote legen mittlerweile von Mauretanien oder sogar von Senegal aus ab. Allein von Januar bis Ende Juni 2006 sind so über 11.000 Personen auf bzw. vor den Kanarischen Inseln aufgegriffen worden. Der Ansturm überfordert die lokalen Behörden und die Kapazitäten der Auffanglager, von wo aus die Migranten nach spätestens 40 Tagen auf das spanische Festland gebracht werden müssen.
Ausblick: Inwiefern die von der sozialistischen Regierung in Kraft gesetzten Instrumente zur Steuerung der Zuwanderung (z. B. Möglichkeit legaler Zuwanderung gebunden an Arbeitsplätze) funktionieren werden, bleibt abzuwarten. Da aber viele Zuwanderer weiter auf dem informellen Markt Arbeit suchen, wird das Problem der irregulären Migration voraussichtlich weiter bestehen - umso mehr, als der Migrationsdruck im nördlichen und subsaharischen Afrika anhalten wird.
Dr. Axel Kreienbrink, Forschungsreferat des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg
Die 9-seitige Langfassung dieses Länderprofils mit umfangreichem Datenmaterial ist in Deutsch und Englisch abrufbar unter:
www.focus-migration.de/produkte_laenderprofile.htm und
www.focus-migration.de/produkte_country_profiles.htm und
www.migration-info.de/migration_und_bevoelkerung/laenderprofile/index.htm
In der Rubrik Länderprofile / Country Profiles sind bei focus Migration bereits erschienen: Deutschland, Frankreich, Polen, USA und Türkei