Deutschland: Bundestag debattiert über Zuwanderung

4. Juni 2008

Vertreter verschiedener Parteien haben sich Anfang Mai im Deutschen Bundestag für die Einführung eines Punktesystems zur Steuerung der Einwanderung ausgesprochen. Angesichts niedriger Zuwandererzahlen wurden auch Fragen des Familiennachzugs und der Flüchtlingsanerkennung kontrovers diskutiert. Anlass der Debatte war die Beratung des Migrationsberichts 2006.

Die Zuwanderung nach Deutschland befand sich 2006 auf dem tiefsten Stand seit Jahrzehnten. Der Wanderungssaldo betrug lediglich +23.000 Personen, wobei er im Hinblick auf deutsche Staatsbürger in den Jahren 2005 und 2006 sogar negativ war (vgl. MuB 1/08).

Punktesystem: Die SPD-Fraktion forderte die Bundesregierung angesichts der demografischen Entwicklung dazu auf, ein Auswahlverfahren zur Steuerung der Zuwanderung zu schaffen. Deutschland leide unter Realitätsverweigerung, sagte die SPD-Abgeordnete Lale Akgün. Die Lösung sei eine Kombination aus Punktesystem und so genannter Engpasszuwanderung, wie sie bereits der damalige Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration vorgeschlagen hatte (vgl. MuB 9/04). Bei der Engpasszuwanderung wird die Anzahl der Zuwanderer mit bestimmten Qualifikationen für einzelne Branchen am Bedarf ermittelt. Daneben sei jedoch im Zuge nachholender Integration auch eine Bildungsoffensive nötig, um Menschen ohne Abschluss zu qualifizieren oder vorhandene Potenziale bei den Zugewanderten besser zu nutzen. Auch Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP, die ihrerseits im März 2008 einen entsprechenden Gesetzesantrag in den Bundestag eingebracht hatte, forderten die Regulierung der Zuwanderung durch ein Punktesystem. Die Bundesregierung betreibe eine „systematische Politik der Zuwanderungsverhinderung“, so Josef Winkler, migrationspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. CDU und CSU lehnten die Einführung eines solchen Auswahlverfahrens hingegen ab. „Wir brauchen kein Punktesystem und auch keine neuen Vorschriften hinsichtlich der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt“, sagte der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel. Stattdessen sei mehr Flexibilität bei der Bundesagentur für Arbeit, den Industrie- und Handelskammern sowie den Ausländerbehörden nötig. Die Linke forderte eine humanitäre Flüchtlingspolitik und die Beendigung der restriktiven Anerkennungspraxis.

Integration und Familiennachzug: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonte die Bekämpfung der Integrationsdefizite innerhalb der zweiten und dritten Generation als Schwerpunkt der aktuellen Migrationspolitik der Bundesregierung. Der Integrationsgipfel und die Deutsche Islamkonferenz leisteten hierzu einen wichtigen Beitrag. Insbesondere die Evaluierung und Weiterentwicklung der Sprach- und Integrationskurse bezeichnete Schäuble als wichtigen Schritt, um die Grundlagen für gleiche Teilhabe von Migranten an der Gesellschaft zu schaffen (vgl. MuB 4/08). Die deutsche Sprache sei eine notwendige Voraussetzung für gelingende Integration, deswegen habe die Bundesregierung auch im Zusammenhang mit dem Familiennachzug ein Minimum an Deutschkenntnissen als Voraussetzung eingeführt. Sprecher der Opposition kritisierten die in der jüngsten Reform des Aufenthaltsgesetzes verankerte Regelung, die nur für bestimmte Herkunftsländer gilt, dagegen vehement (vgl. MuB 6/07). Die Bundesregierung habe „Ehen zweiter Klasse“ geschaffen, erklärte die Sprecherin für Integration und Migration der FDP Sibylle Laurischk. Auch die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten die sofortige Abschaffung der Regelung. Der Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Migration und Integration Rüdiger Veit sagte: „Hinsichtlich des Familiennachzugs sollten wir uns gemeinsam Gedanken über seine Förderung machen, statt ihn noch weiter zu begrenzen; denn die mit ihm verbundene Möglichkeit, mit Familie hier leben zu können, hat auch etwas mit Integration zu tun.“ Mit Inkrafttreten der Reform im August 2007 war der Ehegattennachzug stark zurückgegangen – im Vergleich zwischen dem 3. und 4. Quartal 2007 um insgesamt rund 40 %, bei Türken sogar um mehr als zwei Drittel. Die Bundesregierung führt dies wesentlich darauf zurück, dass sich die Antragsteller nach Einführung des Sprachnachweises zunächst auf die Sprachprüfung vorbereiteten und erst danach ihren Visumsantrag gestellt haben. Im ersten Quartal 2008 stiegen die Zahlen wieder merklich an.

Darüber hinaus regte der SPD-Abgeordnete Michael Bürsch an, im Zuge der Anerkennung der Zuwandererbevölkerung die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen. Seit Anfang des Jahres 2008 müssen sich auf der Grundlage des so genannten Optionsmodells zahlreiche Jugendliche für eine ihrer beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden (vgl. MuB 1/08, 3/99). Ob die SPD noch im Rahmen der laufenden Legislaturperiode innerhalb der Großen Koalition Reformen in einem der beiden Bereiche durchsetzen will, blieb in der Debatte offen.

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