Die Europäische Kommission hat am 1. September gemeinsame Standards für die Abschiebung von Nicht-EU-Ausländern vorgeschlagen. Die Richtlinie dient der Umsetzung des „Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht", das der Europäische Rat Anfang November 2004 beschlossen hatte (vgl. MuB 9/04).
Der zuständige EU-Kommissar für Justiz und Inneres Franco Frattini sagte, die Rückführung illegal anwesender Ausländer müsse konsequenter durchgesetzt werden. Die Europäische Union müsse eine „menschenwürdige, jedoch wirksame Rückkehr illegaler Einwanderer gewährleisten", da ansonsten „die Integrität und Glaubwürdigkeit unserer Einwanderungs- und Asylpolitiken" auf dem Spiel stehe, so Frattini. Seinen Angaben zufolge haben die 25 Mitgliedstaaten zwischen 2002 und 2004 jährlich etwa 660.000 Rückführungen angeordnet, von denen ca. ein Drittel tatsächlich durchgeführt worden seien.
Die Richtlinie „über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger" sieht vor, dass zunächst eine offizielle Rückführungsentscheidung mit einer Frist von bis zu vier Wochen für eine freiwillige Ausreise ergeht. Anschließend soll eine Abschiebungsanordnung erlassen werden. Allerdings können Rückführungsentscheidung und Abschiebungsanordnung zeitgleich erfolgen. Ansonsten seien Verfahrensverzögerungen zu befürchten, hatten die Mitgliedstaaten im Rahmen der Vorab-Konsultationen geltend gemacht. Der betroffene Drittstaatsangehörige soll gegen die Abschiebung einen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung einlegen und eine gerichtliche Überprüfung verlangen können.
Zum Mittel der vorläufigen Gewahrsamnahme bzw. der Abschiebehaft „soll nur dann gegriffen werden, wenn Fluchtgefahr besteht und weniger drastische Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen". Sie soll nicht länger als 6 Monate betragen, im Gegensatz zu derzeit bis zu 18 Monaten in Deutschland. Ferner sollen internationale und Nichtregierungsorganisationen die Anstalten besuchen und die Haftbedingungen überprüfen können, wobei es dem Mitgliedstaat freisteht, solche Besuche von einer Genehmigung abhängig zu machen.
Mit der Abschiebungsanordnung würde zugleich ein Wiedereinreiseverbot von bis zu fünf Jahren für die gesamte Europäische Union ausgesprochen. Es könnte einen längeren Zeitraum betragen, wenn vom Betroffenen eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausginge.
Frattini sagte, dass die Europäische Menschenrechtskonvention verbindlich
sei. Niemand dürfe abgeschoben werden, dem im Herkunftsland Verfolgung
oder Folter drohe. Hingegen forderte der britische Innenminister und amtierende
EU-Ratsvorsitzende Charles Clarke (Labour) beim Treffen der EU-Justiz- und Innenminister
in Newcastle am 9. September, eine Neuauslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention
in Betracht zu ziehen. Clarke plädierte dafür, Hassprediger und Terroristen
auch dann abschieben zu können, wenn ihnen im Herkunftsland Folter oder
die Todesstrafe drohe. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hielt es für
„problematisch", die Europäische Menschenrechtskonvention dergestalt
zu relativieren. Deutschland habe immer darauf geachtet, dass Abschiebungen
im Einklang mit der Konvention erfolgten.
Allerdings kritisierte auch Schily den Richtlinienvorschlag der Kommission. Er missachte die sicherheitspolitischen Interessen der Mitgliedstaaten. Schily verlangte „Regelungen über Verfahren für eine erleichterte Ausweisung und Abschiebungshaft bei bestimmten Personengruppen, wie Terrorismusverdächtigen oder Hasspredigern". Zudem kritisierte er, dass die maximale Dauer der Abschiebehaft auf 6 Monate begrenzt sei.
Die Richtlinie wird im Verfahren der Mitentscheidung behandelt, d. h. neben dem Rat muss auch das Europäische Parlament zustimmen. vö
Weitere Informationen:
europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2005/com2005_0391de01.pdf
(Richtlinie)
de.wikipedia.org/wiki/Mitentscheidungsverfahren
europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2005/c_053/c_05320050303de00010014.pdf