Seit dem EU-Gipfel von Nizza im Dezember 2000 steht fest: 2004 oder 2005 werden mehrere ostmitteleuropäische Länder der Europäischen Gemeinschaft beitreten. Zur ersten Erweiterungsrunde gehören auf jeden Fall Estland, Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und Slowenien.
In Deutschland geht es beim Thema Osterweiterung innen wie außenpolitisch um die Frage der Niederlassungsfreiheit. Mitte Dezember des vergangenen Jahres forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine übergangsfrist von sieben Jahren, bis Bürger der Beitrittsländer in den bisherigen 15 EU-Staaten freien Zutritt zum Arbeitsmarkt erhalten. Vorbild dafür sind die seinerzeitigen übergangsfristen nach dem EU-Beitritt Spaniens und Portugals im Jahr 1986. Diese wurden damals auf Betreiben von Frankreich, Belgien und Luxemburg durchgesetzt.
Nun sehen sich Deutschland und Österreich als Hauptbetroffene der EU-Osterweiterung. Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) forderte, den freien Zutritt auf den Arbeitsmarkt erst dann zu gewähren, wenn das Lohnniveau in den Beitrittsländern mindestens 70% des westeuropäischen Niveau erreicht habe. Im Gegensatz dazu forderte Schröder eine Frist von sieben Jahren, die erstmals fünf Jahre nach Beitritt mit Rücksicht auf die Arbeitsmarktlage überprüft werden solle. Dann wäre eine Verkürzung, aber auch eine Verlängerung denkbar. Zugleich verlangte Schröder, auch die Dienstleistungsfreiheit vorübergehend einzuschränken, um nicht nur Deutschlands Arbeitnehmer, sondern auch Handwerk und Bauindustrie vor den Folgen der Osterweiterung zu schützen.
Alle Einschränkungen sollen aus deutscher Sicht flexibel gehandhabt werden. Bei akutem Arbeitskräftemangel könne es schon während der übergangsfrist die Möglichkeit der Arbeitsmigration aus den neuen in die alten EU-Staaten geben. Für die Zeit nach dem Jahr 2010 sieht Schröder einen erheblichen Bedarf an Zuwanderung.
Auf Kritik stießen Schröders Forderungen vor allem in Polen, das nach einem Beitritt zur EU sofortige Freizügigkeit verlangt. Polens Außenminister Wladyslaw Bartoszewski (parteilos) und sein ungarischer Amtskollege János Martonyi (MDF) stuften Schröders Forderung als Wahlkampfrhetorik" vor der Bundestagswahl 2002 ein.
Abgelehnt werden Schröders Vorstellungen auch von Regierungsvertretern der baltischen Staaten und der Tschechischen Republik. Aus diesen Ländern gab es bisher kaum Migration nach Deutschland oder Österreich.
Zustimmung erhielt Schröder vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und von dem für die Osterweiterung zu ständigen EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD). Allerdings, so ein Sprecher der EU-Kommission, müssten die übergangsfristen von den bisherigen 15 EU-Staaten einstimmig beschlossen werden. rm