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Ausgabe 7
Oktober 2001
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Afghanistan/Deutschland: Flüchtlingswelle und steigende Zahl afghanischer Asylbewerber 

Nach den terroristischen Anschlägen in den USA am 11. September dieses Jahres setzte in Afghanistan eine Flüchtlingswelle ein. Die USA hatten jedem Staat, der terroristische Gruppen unterstützt, mit Vergeltungsmasnahmen gedroht. Sie werfen den in Afghanistan herrschenden Taliban vor, die Auslieferung des aus Saudi-Arabien stammenden mutmaslichen Drahtziehers der Anschläge, Usama Bin Ladin, zu verweigern. Daraufhin begann das US-amerikanische Militär mit britischer Unterstützung in der Nacht zum 8. Oktober, afghanische Stellungen zu bombardieren. Die Angriffe führten zu weiteren Fluchtbewegungen. Die Kriegshandlungen erschweren zugleich die Versorgung der Bevölkerung mit dringend benötigten Nahrungsmitteln. Unterdessen meldete das Bundesinnenministerium, die Zahl afghanischer Asylbewerber in Deutschland sei im September im Vergleich zu den Vormonaten deutlich gestiegen.

Schon vor den Gegenschlägen durch die USA und Grosbritannien gab es in Afghanistan nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) nahezu 1 Mio. Binnenflüchtlinge. In Afghanistan herrscht schon seit 22 Jahren (Bürger-)Krieg. Die Zahl der Flüchtlinge innerhalb des Landes dürfte mittlerweile deutlich gestiegen sein. Da das UNHCR seine Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen aus Afghanistan abziehen musste, basieren die Angaben über das Ausmas der Fluchtbewegungen auf Schätzungen lokaler Informanten.

Das UNHCR berichtete, dass bereits wenige Tage nach dem 11. September in Kandahar eine massive Flucht einsetzte. Dort befindet sich das Hauptquartier der herrschenden Taliban. Rund die Hälfte der schätzungsweise 200.000 Einwohner habe die Stadt mittlerweile verlassen. Nach Beginn der Angriffe durch die USA und Grosbritannien seien weitere Tausende aus der Hauptstadt Kabul geflüchtet. Fluchtbewegungen wurden auch aus Dschalalabad gemeldet. Der Grosteil der Menschen sei in Gebirgsregionen geflüchtet. Ein Sprecher des UNHCR sagte, dass „auch diese internen Vertriebenen über kurz oder lang in Iran oder in Pakistan landen" werden. Der Grund sei die schlechte Versorgungslage im Land. Die Städte Kabul, Dschalalabad und Kandahar befinden sich im Süden bzw. Südosten des Landes, unweit der Grenze zu Pakistan.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtete am 18. September, Taliban-Milizen hätten Kontrollpunkte in der Grenzregion zu Pakistan eingerichtet und liesen ausschlieslich Afghanen mit Personalausweis oder Visa durch. Da nur ein Bruchteil der Bevölkerung im Besitz solcher Dokumente sei, habe sich die Zahl der flüchtenden Afghanen zeitweise verringert. Des Weiteren erschwert der Mangel an Transportmitteln bzw. an Treibstoff die Flucht in die Nachbarstaaten.

Bereits kurz nach den Anschlägen in New York und Washington, als sich eine Verwicklung der Taliban in die Geschehnisse abzeichnete, schlossen die Nachbarstaaten Pakistan und Iran in Erwartung eines Flüchtlingsstroms ihre Grenzübergänge zu Afghanistan. Das UNHCR berichtete, dass es zuvor noch bis zu 20.000 Flüchtlingen gelang, die Grenze nach Pakistan zu überqueren. Auserdem wird angenommen, dass Tausende Afghanen über die Berge unbeobachtet in die Nachbarländer gelangten. Sie suchten entweder bereits bestehende Flüchtlingslager auf oder kamen bei Verwandten und Bekannten unter.

Im südöstlich von Afghanistan liegenden Pakistan hielten sich bereits vor den jüngsten Fluchtbewegungen etwa 2 Mio. Afghanen auf. Im westlich angrenzenden Iran leben 1,5 Mio. afghanische Flüchtlinge. Beide Nachbarstaaten erklärten sich zwar grundsätzlich zur Hilfe für die Flüchtlinge bereit, diese müssten allerdings auf afghanischem Gebiet untergebracht werden. An verschiedenen Grenzübergängen zu Pakistan und Iran sollen sich jeweils einige Hundert bzw. Tausend Flüchtlinge aufhalten. Auch andere Nachbarstaaten wie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan sollen laut UNHCR ihre Grenzen „mehr oder weniger" geschlossen haben. Im Grenzgebiet zu Tadschikistan kampieren seit fast einem Jahr mehrere Zehntausend Menschen. Sie waren vor dem Bürgerkrieg zwischen den Taliban-Milizen und den Truppen der Nordallianz geflüchtet, dürfen aber nicht einreisen (vgl. MuB 3/01).

Afghanistan war bereits vor Ausbruch der Kriegshandlungen mit 3,7 Mio. Personen das weltweit gröste Herkunftsland von Flüchtlingen. Das UNHCR hatte noch vor den Angriffen auf Afghanistan ein „worst-case-scenario" erstellt. Im schlimmsten Fall rechnet man mit bis zu 1,5 Mio. weiteren Flüchtlingen (siehe Tabelle). Um die Versorgung der Flüchtlinge u.a. mit Medikamenten, Lebensmitteln, Decken und Zelten für ein halbes Jahr sicherzustellen, forderte das Flüchtlingshilfswerk die internationale Staatengemeinschaft zu Spenden in Höhe von 268 Mio. US-Dollar auf. Der sofortige Bedarf beträgt 30 Mio. US-Dollar. Diese Summe war bis Anfang Oktober nahezu eingegangen.

Die derzeitige amerikanische Militäroffensive erschwert die Versorgung der afghanischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zusätzlich. Seit mehr als drei Jahren leidet das Land unter einer Dürre. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) versorgte in Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen bislang etwa 3,8 Mio. Afghanen. Die UNO schätzt, dass inzwischen bis zu 7,5 Mio. Afghanen auf direkte Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Da die Nachbarstaaten die Grenzübergänge zu Afghanistan geschlossen halten, konnte WFP bislang keine neuen Nahrungsmittel liefern. Die Vorräte der Versorgungslager im Landesinnern reichen nur noch für wenige Wochen. WFP-Sprecherin Christiane Berthiaume sagte, es sei geplant, über Turkmenistan 1.000 Tonnen Hilfsgüter nach Nordafghanistan zu bringen. Sie wies darauf hin, dass die Versorgungslage der Binnenvertriebenen besonders kritisch sei. Da kaum Transportmittel vorhanden sind, haben die verbliebenen afghanischen Mitarbeiter Schwierigkeiten, die bedürftige Bevölkerung zu erreichen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) warnte, dass der bevorstehende Winter die Situation weiter verschärfen wird und rief deshalb gezielt zu Spenden auf. Die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson forderte, die Angriffe auf Afghanistan zu unterbrechen, damit humanitäre Organisationen die notleidende Bevölkerung erreichen könnten. Claudia Roth, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, plädierte ebenfalls für eine vorübergehende Feuerpause.

Derweil teilte das Bundesinnenministerium mit, dass die Zahl der Asylbewerber aus Afghanistan deutlich gestiegen ist. Während im August dieses Jahres 649 Erstanträge eingingen, stieg die Zahl im September auf 842. Das ist die höchste Zahl seit Oktober 1995. Es dÜrfte sich dabei aber in den wenigsten Fällen um direkte Auswirkungen der Geschehnisse nach dem 11. September handeln. FlÜchtlinge aus Afghanistan sind oftmals wochen- bzw. monatelang unterwegs, bis sie Europa erreichen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im August 2000 entschieden, dass auch eine quasi-staatliche Verfolgung unter Umständen einen Anspruch auf Asyl begrÜnden könne. Daraufhin änderte das Bundesamt fÜr die Anerkennung ausländischer FlÜchtlinge (BAFl) seine Entscheidungspraxis zugunsten der bisher im Regelfall abgewiesenen afghanischen Asylsuchenden. Pro Asyl wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Anerkennungsquote fÜr afghanische Asylbewerber in diesem Jahr bei 61,7% liegt. 2000 wurden nur 0,9% der Anträge positiv beschieden.

Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher von BÜndnis 90/Die GrÜnen, wiederholte angesichts der Geschehnisse in Afghanistan die Forderung seiner Partei, die AsylgrÜnde auf Fälle quasi-staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung auszuweiten und gesetzlich zu verankern. Er bezweifelte jedoch, diese Forderung im Rahmen der Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz durchsetzen zu können. Gleichzeitig verwies er aber auf die Möglichkeit einer Regelung auf europäischer Ebene, die im Sinne seiner Partei sein könnte.

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