Das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen ist kein Kündigungsgrund. So entschied unlängst das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Fall einer Kaufhausverkäuferin in einer hessischen Kleinstadt. Die Kündigung stelle einen unverhältnismäsigen Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerin dar, so die Richter.
Fadime C. arbeitete 10 Jahre lang im nordhessischen Schlüchtern als Parfüm-Verkäuferin in einem Kaufhaus. Nach einem Erziehungsurlaub erklärte sie ihren Arbeitgebern, dass sich ihre religiöse Einstellung geändert habe. Aus diesem Grund wolle sie fortan nur noch mit Kopftuch arbeiten. Daraufhin wurde der Muslimin im Oktober 1999 gekündigt. Ihr Arbeitgeber machte dabei geltend, dass das Kaufhaus im Falle einer Weiterbeschäftigung wirtschaftliche Nachteile zu befürchten habe.
Die 32-jährige Frau, die in der Türkei geboren und in Deutschland eingebürgert wurde, klagte gegen ihre Kündigung. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Hessen lehnten die Klage ab (LAG Hessen, 21.6.2002, 3 Sa 1448/00). Die Richter stellten zwar fest, dass im Fall C. das Grundrecht der freien Religionsausübung mit der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers kollidiere. Sie kamen jedoch zu dem Schluss, dass dieser Interessenkonflikt durch die Kündigung wirksam beseitigt sei.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt bewertete nun in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2002 die Religionsfreiheit höher als den verfassungsmäsigen Schutz der Erwerbstätigkeit, da die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen nur vermutet wurden (BAG 2 AZR 472/01). Die Richter halten die Kündigung für einen unverhältnismäsigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der Klägerin (siehe Box). Es wäre den Kaufhausbetreibern durchaus zuzumuten gewesen, Fadime C. weiter zu beschäftigen, um zu sehen, ob sich ihre Kleidung tatsächlich geschäftsschädigend auswirke. Es hätte nicht notwendigerweise zu negativen Reaktionen von Seiten der Kunden und zu Umsatzeinbußen kommen müssen, so die Richter. Das Kaufhaus muss der Klägerin den Lohn für den Zeitraum seit der Kündigung nachzahlen. Das Management behielt sich vor, Verfassungsbeschwerde einzulegen.
Erst im Juli dieses Jahres wurde ein so genanntes Kopftuch-Urteil mit weit reichenden Konsequenzen gefällt (vgl. MuB 6/02). In jenem Fall ging es um die aus Afghanistan stammende muslimische Lehrerin Fereshta Ludin, der die übernahme in den baden-württembergischen Schuldienst verweigert wurde. Wenn eine Lehrerin nicht bereit ist, ein aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch in der Schule abzulegen, darf sie an einer staatlichen Grund- oder Hauptschule nicht unterrichten, so die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts Berlin (BVerwG 2 C 21.01). Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass Beamte in Glaubensfragen zur Neutralität verpflichtet seien und Schüler zudem ein Recht darauf hätten, vom Staat nicht dem Einfluss einer fremden Religion, auch in Gestalt eines Symbols, ausgesetzt zu werden, ohne sich dem entziehen zu können". Dieses Grundrecht bewerteten die Richter im Fall von Ludin höher als ihr Recht auf freie Religionsausübung. Damit bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Urteile untergeordneter Instanzen. as
Weitere Informationen:
www.bundesarbeitsgericht.de, Pressemitteilung Nr. 71/02, BAG 2 AZR 472/01 - Urteil vom 10.10.2002
www.bundesverwaltungsgericht.de, Pressemitteilung Nr. 22/2002, BVerwG 2 C 21.01 Urteil vom 4.7.2002