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Ausgabe 7
September 2003
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Deutschland: Fälle umstrittener Abschiebepraxis

In den vergangenen Wochen sorgten mehrere Entscheidungen über Abschiebungen für Aufsehen und politische Kontroversen. Besonders umstritten waren dabei die Fälle von vier Minderjährigen aus Ghana, dem Kongolesen Raphael Batoba und dem Türken Metin Kaplan.

Abschiebung von Minderjährigen: Bei den vier Heranwachsenden aus Ghana handelt es sich um Barbara O., Thomas Akabori A. (beide 14) und die Geschwister Silvia (13) und Gifty O. (14). Sie wohnen seit zwei Jahren und länger bei ihren Müttern in Hamburg und sollen nun allein in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Die Konstellation ist in jedem der Fälle gleich: Die Mütter sind mit deutschen Staatsbürgern verheiratet und besitzen ein unbefristetes Bleiberecht. Erst als ihr eigener Aufenthaltsstatus gesichert war, holten sie ihre Kinder nach. Diese reisten ohne gültiges Visum nach Deutschland ein. Eine Familienzusammenführung wurde von der Ausländerbehörde mit der Begründung abgelehnt, dass sich Mutter und Kind in den Jahren der Trennung voneinander entfremdet hätten, bzw. die Zusammenführung war nicht beantragt worden. Deshalb, so argumentiert die Hamburger Ausländerbehörde, hätten die Kinder kein Recht auf einen legalen Aufenthalt und sollen abgeschoben werden.

Da keine Angehörigen in Ghana ausfindig gemacht werden konnten, sollen sie dort in eine Waisenunterkunft kommen. Nach Bekanntwerden der geplanten Abschiebung wurden Zweifel laut, ob die vorgesehenen Waisenhäuser zu einer Aufnahme bereit seien. Inzwischen räumte Behördensprecher Norbert Smekal ein, dass es keine klare Zusage der Behörden aus Ghana über eine Unterbringung der Kinder gebe.

Ende Juli war ein erster Abschiebeversuch gescheitert, da Barbara O. und Thomas Akabori A. zu den vorgegebenen Terminen am Flughafen nicht erschienen. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hatte die Abschiebung zuvor bestätigt, auch unter Berücksichtigung der Aussagen der Ausländerbehörde, dass sie sich um eine Unterkunft für die Kinder gekümmert habe (Aktenzeichen: OVG 1 Bs 356/03). Bei einem weiteren Nichterscheinen zu den Abschiebeterminen drohte die Hamburger Ausländerbehörde mit Inhaftierung. Vor allem aus Reihen der rot-grünen Opposition in der Hamburger Bürgerschaft, aber auch von Menschenrechtsorganisationen wie „terre des hommes" wurde die angekündigte Maßnahme heftig kritisiert.

In den obigen vier Fällen wurde von der zuständigen Ausländerbehörde eine letzte Frist gewährt, bis Entscheidungen über laufende Rechtsmittel der Familien gegen die Abschiebung und Petitionen von Flüchtlingsorganisationen vorliegen. Offenbar plant die Hamburger Ausländerbehörde darüber hinaus die Abschiebung weiterer Kinder, wobei sie keine genauen Zahlen bekannt gab. Unterdessen äußerte sich auch Elizabeth Adjei, Direktorin der ghanaischen Einwanderungsbehörde, und beschrieb die Hamburger Abschiebepraxis als „grotesk". Es falle ihr schwer, „eine Abschiebung von Minderjährigen weg von ihren Erziehungsberechtigten nachzuvollziehen".

Abschiebung in den Kongo: Bei der Abschiebung des Kongolesen Raphael Batoba ist umstritten, ob die Lage in der Demokratischen Republik Kongo (früher Zaire) hinreichend sicher sei. Seit Mitte des Jahres ist der Nordwesten des Landes von schweren inneren Unruhen betroffen (vgl. MuB 6/03). Die Ausländerbehörde entschied, dass dies für die vom Bürgerkrieg nicht direkt betroffene Hauptstadt Kinshasa nicht von Belang sei und ordnete die Abschiebung an. Batoba hatte vorher alle Rechtsmittel ausgeschöpft und konnte vor Gericht nicht glaubhaft machen, dass für ihn eine konkrete Bedrohung in seinem Herkunftsland bestehe. Der 37jährige Flüchtling lebte seit 11 Jahren in Deutschland. Er hatte ausgesagt, im Kongo nicht nur von der Bürgerkriegssituation bedroht zu sein, sondern auch durch den Umstand, dass er einer oppositionellen Bewegung angehöre.

Der Sprecher des Berliner Innensenats Peter Fleischmann verteidigte indes die Abschiebung. Man habe sich am neuen Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) orientiert. Es bleibe kein rechtlicher Spielraum. Auch liege bei Batoba kein Härtefall vor.

Im AA-Lagebericht werden keine generellen Bedenken gegen eine Abschiebung in Gebiete geäußert, die nicht von den Rebellen kontrolliert werden. Allerdings wird für eine Einzelfallprüfung plädiert. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bestätigte diese Einschätzung in einer Stellungnahme.

Ein Abschiebeversuch Mitte August scheiterte noch an Batobas Widerstand auf dem Berliner Flughafen Tegel. Die niederländische Fluggesellschaft KLM verweigerte einen Transport gegen Batobas Willen. Bereits Mitte Juni waren auf ähnliche Weise zwei Versuche gescheitert. Anfang September wurde die Abschiebung dann schließlich vollzogen.

Sowohl der Berliner Flüchtlingsrat als auch die Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, die einen generellen Abschiebestopp in die Republik Kongo fordern, übten Kritik an der Abschiebung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl bezeichnete sie als eine „Brüskierung der gesamten Flüchtlingsbewegung".

Der Berliner Flüchtlingsrat bestätigte indes, dass Batoba bereits auf dem Flughafen von Kinshasa verhaftet und tagelang in Polizeigewahrsam gewesen sei. Dies habe er in einem Anruf mitgeteilt. Er sei misshandelt worden, wie er gegenüber einem Radiosender Anfang September erklärte. Als Haftgrund vermute er ein Ausweis-Ersatzpapier des Bundesgrenzschutzes (BGS), das ihn als illegal Eingewanderten einordne.

Der Sprecher des Berliner Innensenats beurteilte diese Aussage als „nicht glaubwürdig". Berlins Ausländerbeauftragter Günter Piening (Bündnis 90/Die Grünen) bedauerte, dass dem Senat im Asylrecht kein humanitärer Spielraum bleibe. Er forderte von der Innenministerkonferenz unter anderem eine Regelung für so genannte Altfälle.

Abschiebung in die Türkei: Zu einem Politikum wurde die Nicht-Abschiebung des Türken Metin Kaplan in Köln. Das Kölner Verwaltungsgericht entschied in seinen Urteilen vom 27. August 2003 (Aktenzeichen: 3 K 629/02.A und 3 K 8110/02.A), dass Kaplan sein Recht auf Asyl zwar verwirkt habe, er jedoch nicht in die Türkei abgeschoben werden dürfe. Kaplan, der selbst ernannte „Kalif von Köln", steht der islamistischen Vereinigung „Kalifenstaat" vor, die vom Bundesinnenministerium im Dezember 2001 verboten wurde. Kaplan saß in den vergangenen vier Jahren in Haft, weil er zu einem Mord an einem Berliner Rivalen aufgerufen hatte. Durch diesen Mordaufruf hat Kaplan nach Ansicht der Richter zwar kein Recht mehr auf Asyl in Deutschland, eine Abschiebung laufe jedoch Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (siehe Box) zuwider.

Wegen eines angeblich 1998 geplanten Anschlags auf die Staatsspitze droht ihm in der Türkei ein Strafverfahren, das mit „rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar" sei. Als Hindernisgrund für eine Abschiebung werteten die Verwaltungsrichter, dass Kaplan in der Türkei möglicherweise auf Grund von Zeugenaussagen verurteilt werden könnte, die durch Folter erzwungen wurden.

Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte damit ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Mai 2003 (Aktenzeichen: 4 Ausl (A) 308/02 - 147, 203-204/03 III), dass die von der Türkei beantragte Auslieferung Kaplans aus den gleichen Gründen ablehnte und ihn auf freien Fuß gesetzt hatte. Gleichzeitig bestätigte das Kölner Gericht die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), Kaplan den Status als Asylberechtigter zu entziehen.

Der Islamlistenführer hatte gegen die Düsseldorfer Entscheidung geklagt. Das Gericht geht bei Kaplan von der Gefahr aus, dass er erneut straffällig werden könnte. Durch das Urteil steht dem 50-Jährigen nur eine befristete Duldung zu. Diese kann mit Auflagen verbunden sein, wie etwa dem bereits bestehenden Verbot, Köln zu verlassen. Zudem kann ein geduldeter Ausländer in einen Drittstaat abgeschoben werden, sofern ihm die dortigen Behörden die Einreise gestatten.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will eine Abschiebung auf jeden Fall erreichen. Er warb bei einem Kurzbesuch in der Türkei Mitte September bei seinem Amtskollegen Abdülkadir Aksu und dem türkischen Justizminister Cemil Cicek (beide AKP) für juristische Voraussetzungen, die eine Abschiebung möglich machen. Aksu versicherte, Kaplan habe in der Türkei keine Folter zu erwarten. Schily erklärte, es gebe jedoch weiterhin Hindernisse, weil die Zeugenaussagen bei einer Verhandlung ebenso nicht durch Folter erzwungen sein dürften. Auch stützte sich das Kölner Urteil auf generelle Missstände in der türkischen Justiz und nicht nur auf zu erwartende Probleme im Fall Kaplan. Die Entscheidung über die Revision vor dem Oberverwaltungsgericht Münster dürfte daher nicht nur von erteilten Garantien gegenüber Schily abhängen.

Im Juni dieses Jahres votierte das türkische Parlament bereits für eine Verbesserung der Rechte von Beschuldigten politischer Straftaten, die Todesstrafe zu Friedenszeiten ist seit vergangenem Jahr abgeschafft. Zu Kriegszeiten kann sie jedoch verhängt werden. Das türkische Außenministerium rügte das Kölner Urteil als „unannehmbar" und unterstellte eine „falsche, ungerechtfertigte, mit Vorurteilen behaftete und unangemessene Bewertung der türkischen Justiz".

Auch in Deutschland wurde das Urteil parteiübergreifend kritisiert. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) nannte es „skandalös", FDP-Chef Guido Westerwelle forderte Schily zu sofortigem Handeln auf, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekräftigte vor seinem Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan (AKP) bei dessen Berlin-Besuch Anfang September, dass man eine Abschiebung anstrebe, und auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen), gab dies als Ziel an. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sprach von einem „weiteren Akt in einem Possenspiel des Rechtsstaats". Amnesty International dagegen begrüßte das Urteil ausdrücklich, da in der Türkei nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation „systematisch gefoltert" werde. chw

Weitere Informationen unter:
fhh.hamburg.de
www.vg-koeln.nrw.de
www.olg-dqesseldorf.nrw.de
www.bafl.de

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