Der zu Beginn des Jahres in Baden-Württemberg eingeführte Wertetest für einbürgerungswillige Muslime hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Muslimische Verbände und zahlreiche Politiker lehnten den Gesprächsleitfaden als diskriminierend ab.
§ 10 [Anspruch auf Einbürgerung]
(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Inland hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er 1. sich
zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen
verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit
des Bundes oder eines Landes gerichtet sind…
Das Land Baden-Württemberg überprüft seit Anfang des Jahres mit Hilfe eines so genannten Gesprächsleitfadens die Wertevorstellungen von Muslimen, die deutsche Staatsbürger werden wollen. Der Leitfaden soll den Beamten in den Einbürgerungsbehörden des Landes helfen, das im Staatsbürgerschaftsgesetz von 2000 verlangte Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu überprüfen (§ 10 (1) StAG). Formal wird das Bekenntnis dadurch abgegeben, dass der Einbürgerungsbewerber eine Loyalitätserklärung unterschreibt. Zudem gibt es seit 2005 eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz.
Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) begründete die Einführung des Leitfadens damit, dass die Loyalitätserklärung keine Garantie dafür sei, dass die einbürgerungswillige Person tatsächlich die Grundwerte der Bundesrepublik teile. Er stützt sich dabei u. a. auf eine Untersuchung des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland, nach der 21 % der in Deutschland lebenden Muslime der Auffassung sind, dass das Grundgesetz nicht mit dem Koran vereinbar sei. Zudem spiele im deutschen Einbürgerungsrecht, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, die Ermessenseinbürgerung eine geringe Rolle. Wer die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, müsse eingebürgert werden. „Deshalb ist die Haltung zu den Grundwerten so wichtig - eine Befürwortung der Zwangsheirat oder von Ehrenmorden ist mit unserer Werteordnung nicht zu vereinbaren”, so Rech. „Muslime haben aufgrund ihrer Herkunft, Werteordnung und Religion oftmals mangelnde Kenntnis über unser Grundgesetz.”
Auszug aus dem Einbürgerungsleitfaden
Baden-Württembergs:
• Wie stehen Sie zu der Aussage, dass die Frau ihrem
Ehemann gehorchen soll und dass dieser sie schlagen darf, wenn sie ihm nicht
gehorsam ist?
• Sie erfahren, dass Leute aus Ihrer Nachbarschaft oder aus Ihrem Freundes-
oder Bekanntenkreis einen terroristischen Anschlag begangen haben oder planen.
Wie verhalten Sie sich? Was tun Sie?
• In der Zeitung wird manchmal über Fälle berichtet, in denen Töchter
oder Ehefrauen von männlichen Familienangehörigen wegen „unsittlichen
Lebenswandels“ getötet wurden, um die Familienehre wieder herzustellen.
Wie stehen Sie zu einer solchen Tat?
• Manche Leute machen die Juden für alles Böse in der Welt verantwortlich
und behaupten sogar, sie steckten hinter den Anschlägen vom 11. September
2001 in New York. Was halten Sie von solchen Behauptungen?
• In Deutschland haben sich verschiedene Politiker öffentlich
als Homosexuelle bekannt. Was halten Sie davon, dass in Deutschland Homosexuelle
öffentliche Ämter bekleiden?
In dem von Kritikern als „Muslim-Test“ bezeichneten Leitfaden werden Einstellungen zu Demokratie, Terrorismus, dem Verhältnis von Mann und Frau, Homosexualität u. a. abgefragt. Laut Fragebogen ist der Einbürgerungsbewerber darauf hinzuweisen, „dass unwahre Angaben als Täuschung der Einbürgerungsbehörde gewertet werden und - auch noch nach Jahren - zur Rücknahme der Einbürgerung führen können“.
Hauptkritikpunkt an der Gesinnungsprüfung ist, dass die Befragung ausschließlich bei Personen aus 57 mehrheitlich muslimischen Staaten zur Anwendung kommt und daher diskriminierend sei. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland, der Islamrat für die Bundesrepublik sowie die Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg forderten Innenminister Rech auf, den Gesprächsleitfaden umgehend zurückzuziehen. Sie warfen ihm vor, Muslime „unter Generalverdacht“ zu stellen. Ein in ihrem Auftrag erstelltes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Leitfaden gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland erwägt daher eine Verfassungsklage. Der Sprecher des Zentralrats Mounir Azzaoui betonte, die muslimischen Gemeinschaften würden so lange an ihrer Kritik festhalten, bis der Leitfaden aus dem Verkehr gezogen sei. In der Zwischenzeit sollten Muslime, die die Fragen als diskriminierend empfinden, diese nicht beantworten.
Innenminister Rech wies die Kritik wiederholt zurück und betonte, der Fragebogen gelte für alle Einbürgerungskandidaten, bei denen ein begründeter Verdacht bestehe. Aus einer Anweisung des Innenministeriums vom September 2005 (Aktenzeichen 5-1012 4/12) geht jedoch hervor, dass der Gesprächsleitfaden bei jedem Muslim, der sich einbürgern lassen will, zur Anwendung kommen solle. Bei allen anderen Einbürgerungsbewerbern sei großzügiger zu verfahren.
Auch Vertreter aller Parteien kritisierten das Vorgehen der baden-württembergischen Landesregierung. Der Ausländerbeauftragte der Stadt Stuttgart Gari Pavkovic (parteilos) sagte: „Für potenzielle Terroristen oder Schläfer sind die Fragen zu plump, generell werden jedoch muslimische Bewerber diskriminiert”. Es gebe ein Problem mit religiösem Fundamentalismus, deshalb sei ein Gespräch mit den Einbürgerungswilligen auch richtig. Allerdings seien in Baden-Württemberg nur 0,7 % aller Ausländer Mitglied einer extremistischen Organisation. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) bezeichnete den Gesprächsleitfaden als „nicht zielführend“.
Kritik kam auch aus dem Ausland. Der Beauftragte für die Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Ömür Orhun sagte, der Test sei diskriminierend und verstoße gegen internationale Normen. Auch in türkischen Zeitungen wurde er scharf verurteilt.
Am 20. Januar kam es im Bundestag zu einer Debatte über den Leitfaden. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte einen Antrag gestellt, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Verwaltungsvorschriften so zu ändern, dass der Leitfaden zurückgezogen werden müsse. Der Antrag bekam jedoch keine Mehrheit. Die Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) kündigte an, den Gesprächsleitfaden in ihren Einbürgerungsbehörden nicht anzuwenden. Sie begründete dies mit verfassungsrechtlichen Bedenken.
Bisher existiert der Test nur in Baden-Württemberg. Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) kündigte jedoch an, einen eigenen Test zu entwickeln und diesen mit obligatorischen Integrationskursen zu verknüpfen. Die Innenminister der Unionsparteien einigten sich bei einem Treffen Ende Januar in Koblenz auf bundesweit einheitliche Staatsbürgerkurse und Tests für Einbürgerungswillige. „Wir brauchen einheitliche Standards und keinen Einbürgerungstourismus zwischen den Ländern“, sagte der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) nach dem Treffen. Dabei könnten die Anforderungen der Einbürgerungsbehörden je nach Bewerber variieren. me
Der vollständige Leitfaden ist online verfügbar unter
www.
Weitere Informationen:
www.einbuergerung.de
www.innenministerium.baden-wuerttemberg.de/
www.bpb.de/
www.bundestag.de/