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Deutschland: Novellierung des Zuwanderungsrechts

Bundestag und Bundesrat haben weit reichende Änderungen des Aufenthaltsgesetzes und anderer migrationspolitisch relevanter Gesetze beschlossen. Einzelne Maßnahmen stießen auf z. T. heftige Kritik bei Migrantenverbänden und bei der Opposition. Das Gesetzespaket kann in Kraft treten, sobald es vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist. Gleichzeitig wurde die Debatte über weitere mögliche Reformen im Zuwanderungsrecht erneut aufgenommen.

Im Wortlaut: Novellierte Passagen des Aufenthaltsgesetzes
 
§ 27 (Grundsatz des Familiennachzugs)
(1) Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert.
(1a) Ein Familiennachzug wird nicht zugelassen, wenn
1. fest steht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise ins und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen oder
2. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde.
 
§ 30 (Ehegattennachzug)
(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn
1. beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2. der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann
[...].
Satz 1 Nr. 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn [...] der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf.
[...]
(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis […] erteilt.

Regelung des Familiennachzugs: Besonders die im Rahmen der Umsetzung von elf EU-Richtlinien eingeführten Restriktionen beim Familiennachzug wurden kontrovers diskutiert (vgl. MuB 2/07, 3/07). Künftig dürfen Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern nur noch dann nach Deutschland ziehen, wenn sie volljährig sind und bereits vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse nachweisen können. Sie müssen sich auf „rudimentäre Weise“ verständigen können.

Ausgenommen von dieser Regelung sind Angehörige von Staaten, deren Bürger ohne Visum nach Deutschland einreisen können. Ehepartner aus Ländern wie Südkorea, Japan, Australien oder den USA müssen deshalb keine Sprachkenntnisse nachweisen - Türken, Thailänder oder Partner aus afrikanischen Staaten hingegen schon. Außerdem wird verlangt, dass der Lebensunterhalt der Familie vollständig aus eigenen Mitteln gesichert ist.

Diese Restriktionen beim Familiennachzug sollen nach Ansicht der Bundesregierung Zwangsehen verhindern und die Integration von Zuwanderern erleichtern. Bei den Migrantenverbänden stießen sie jedoch auf heftigen Widerstand. Migrantenorganisationen, aber auch zahlreiche Politiker und Rechtspraktiker sehen in den unterschiedlichen Anforderungen je nach Herkunftsland zum einen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt (Art. 3 Grundgesetz). Zum anderen kollidiere die Heraufsetzung des Mindestnachzugsalters für Ehepartner von 16 auf 18 Jahre mit Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter einen besonderen Schutz stellt. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Kenan Kolat kündigte die Unterstützung etwaiger Klagen von Betroffenen vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Die Rechtsexperten Kay Hailbronner (Universität Konstanz) und Christian Hillgruber (Universität Bonn) hingegen sagten im Rahmen einer Anhörung des Bundestags-Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf, keine der Regelungen sei in verfassungsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich problematisch.

Aus Protest gegen die Nachzugsregelungen, die als Diskriminierung bestimmter ethnischer Gruppen wahrgenommen werden, blieben einige wichtige türkische Migrantenverbände dem zweiten Integrationsgipfel Mitte Juli fern (siehe S. 3). Bei der Bundesregierung stieß der Boykott überwiegend auf Kritik. Einige Politiker der Großen Koalition äußerten jedoch öffentlich ihr Verständnis. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses Sebastian Edathy (SPD) sei das Verhalten der Verbände „Ausdruck einer ernstzunehmenden Enttäuschung“. Auch kleinere Migrantenverbände wie die Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland (AGIF) oder die Anatolische Föderation e. V. kritisierten die Regelungen vehement und schlossen sich zu einem Bündnis zusammen, um bundesweit mit Aktionen gegen die Änderungen und die damit ihrer Ansicht nach verschlechterte Lebenssituation von Migranten zu protestieren. Abdullah Ates, ein Sprecher der Kampagne, sagte: „Es ist völlig offensichtlich, dass vor allem Personen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie afrikanischen Ländern von der erschwerten Einreise betroffen sind.“

Im Bundestag wurde die Kritik insbesondere von der Opposition geteilt. Josef Philip Winkler, migrationspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete das Gesetzespaket nicht nur als menschenrechts- und grundrechtswidrig, sondern auch als frauen-, familien- und integrationsfeindlich. Auch zahlreiche SPD-Abgeordnete votierten in der Abschlussabstimmung mit „Nein“, enthielten sich oder verbanden ihre Zustimmung mit einer persönlichen Erklärung, in der sie ihre Vorbehalte gegen einzelne Regelungen des Gesetzes erläuterten.

Zuwanderung von Fachkräften: Zu den weiteren Reformmaßnahmen gehören die Einführung einer gesetzlichen Altfallregelung für langjährig Geduldete, Erleichterungen bei der Ausweisung sowie höhere Anforderungen bei Einbürgerung und Integration (vgl. MuB 2/07, 3/07). Daneben waren insbesondere die Zuwanderungsregelungen für Selbständige und qualifizierte Fachkräfte Gegenstand einer intensiven Debatte. Der Bundesrat stimmte dem Gesetzespaket mehrheitlich zu, einige Länder votierten jedoch explizit dagegen oder forderten ein Vermittlungsverfahren.

Mit dem Gesetz wird zwar die Zuwanderung von Selbständigen aus dem Ausland erleichtert. In Zukunft müssen nicht mehr 1 Mio. Euro investiert und 10 Arbeitsplätze geschaffen werden; es reicht aus, wenn mindestens fünf Arbeitsplätze entstehen und 500.000 Euro investiert werden. Die jährliche Mindestverdienstgrenze für ausländische Fachkräfte wird allerdings nicht gesenkt und liegt 2007 bei 85.000 Euro. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhielten im Zeitraum Mai 2005 bis Mai 2007 nur 1.650 hochqualifizierte ausländische Arbeitnehmer eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis.

Der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) bezeichnete es als nicht nachvollziehbar, dass ein Unternehmer aus dem Ausland „20-mal so viel Startkapital für eine unternehmerische Tätigkeit mitbringen muss, wie es bei der Mehrzahl der Gründungsunternehmen in unserem Land der Fall ist”. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) plädierte für eine deutliche Absenkung der Mindestverdienstgrenze, da Unternehmen dringend auf ausländische Fachkräfte angewiesen seien, derart hohe Gehälter aber nicht zahlen könnten.

Das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetzespaket wird derzeit von Bundespräsident Horst Köhler geprüft. Es tritt in Kraft, sobald er es unterzeichnet hat und es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist. Ein Veto ist nicht ausgeschlossen, gilt aber als wenig wahrscheinlich. Der Bundespräsident hatte die harsche Kritik einiger türkischer Verbände, die Gesetzesänderungen seien rassistisch, bereits öffentlich als „nicht haltbar” bezeichnet.

Währenddessen werden innerhalb der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD bereits weitere Reformmaßnahmen diskutiert. Politiker der SPD fordern die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, verbunden mit einer Einbürgerungskampagne. Zahlreiche Koalitionspolitiker, die Mehrzahl der Bundesländer, die Oppositionsparteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen sowie Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sprechen sich für deutliche Zuwanderungserleichterungen für ausländische Fachkräfte aus (siehe MuB-Online). Seitens des Bundesinnenministeriums wird in diesem Zusammenhang die Einführung eines Auswahlverfahrens mit einem Punktesystem nun nicht mehr ausgeschlossen. Das Kabinett arbeitet an Konzepten und will diese unter der Leitung von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bei der Klausurtagung der Bundesregierung Ende August in Meseberg beraten. js

Weitere Informationen:
Kerninhalte der Reform: www.bmi.bund.de/cln_028/nn_122688/Internet/Content/Nachrichten/Pressemitteilungen/2007/07/Zuwanderungsrecht.html
Gesetzentwurf (Bundestags-Drucksache): dip.bundestag.de/btd/16/050/1605065.pdf
Öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf: www.bundestag.de/ausschuesse/a04/anhoerungen/index.html

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