Ein Brand in einem Haus in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), das überwiegend von Menschen türkischer Herkunft bewohnt war, hat zu einer neuen Integrationsdebatte geführt. Bei dem Brand am 3. Februar kamen neun Personen ums Leben und 60 wurden verletzt. Bislang blieb unklar, ob er durch eine fremdenfeindliche Straftat oder durch einen technischen Defekt ausgelöst wurde. Auf viel Widerspruch stießen Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan (AKP) zur Integration im Rahmen seines Deutschlandbesuchs, den er aufgrund der Brandkatastrophe angetreten hatte.
Polizei und Staatsanwaltschaft gaben bisher bekannt, dass das Feuer im Keller des Hauses entstanden sei. Der Zeitpunkt des Brandausbruchs sei weiter unklar. Gegenstand der Ermittlung ist auch die Elektrik des 110 Jahre alten Hauses, die sich in einem reparaturbedürftigen Zustand befunden haben soll. Noch gibt es keine gesicherten Ergebnisse.
Der Leiter der zuständigen Staatsanwaltschaft Frankenthal Lothar Liebig betonte, die Ermittler nähmen die Aussagen von zwei Mädchen aus dem Haus nach wie vor ernst, die im Hausflur des Gebäudes einen Brandstifter gesehen haben wollen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) betonte, bislang seien keine Hinweise auf Brandstiftung entdeckt worden. Die eingeschalteten Beamten des Bundeskriminalamts, externe Fachleute sowie türkische Experten stimmten in diesem „Zwischenergebnis“ bei den Ermittlungen überein, sagte Beck. Die Arbeit der mehr als 80-köpfigen Sonderkommission „Danziger Platz“ gehe unverändert weiter.
Im Keller des Hauses waren an den Wänden Nazi-Symbole bemerkt worden, die allerdings lange vor der Tat aufgemalt worden waren. Die Angst, dass es sich um eine rechtsradikale Straftat handeln könnte, ließ viele Beobachter Parallelen zu den Brandanschlägen von Mölln 1992 und Solingen 1993 ziehen. Ein Bekennerschreiben gibt es bislang nicht. Ein anonymer Brief, der an eine Lokalzeitung geschickt wurde und in dem es u. a. hieß, das Haus sei „abgefackelt“ worden, weil Türken „kein Aufenthaltsrecht in Deutschland“ hätten, stammte laut Polizeiangaben offenbar von einem Trittbrettfahrer.
Heftig kritisiert wurden die Aussagen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, der Deutschland anlässlich des Brandes besuchte. Er forderte zwar von Türken und Türkischstämmigen, sich in Deutschland zu integrieren und Deutsch zu lernen, sich jedoch nicht zu assimilieren. Daneben forderte Erdogan die Schaffung türkischer Schulen und Universitäten mit Lehrpersonal aus der Türkei. Assimilation bezeichnete er als „ein Verbrechen gegen die Menschenwürde“.
Viele Politiker äußerten sich daraufhin kritisch. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach warnte die Regierung in Ankara davor, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen. „Für das Zusammenleben in Deutschland ist nur die deutsche Politik zuständig“, sagte Bosbach. Erdogan habe eine falsche Vorstellung von Integration, kritisierte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Begriff bedeute, sich in die Lebensweise eines Landes hineinzufinden, sagte sie. „Wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist Staatsbürger ohne Abstriche.“
Die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD) sagte: „Eine eigene Schule nach ethnischer Herkunft, das ist Segregation. Das ist nicht Integration.“ SPD-Fraktionschef Peter Struck nannte Erdogans Warnung vor Assimilation „völlig unakzeptabel“. Kritik an Erdogan kam auch aus der Linkspartei. Die Integrationsprobleme würden „nicht durch türkische Schulen in der Bundesrepublik gelöst“, sagte die migrationspolitische Sprecherin der Partei Sevim Dagdelen. Die Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion für Integration und Migration Sibylle Laurischk sagte: „Die Debatte über Assimilation oder Integration ist von vorgestern und geht an der Realität vorbei.“
Der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger sagte, für ihn seien ausgewählte deutsch-türkische Eliteeinrichtungen denkbar, etwa eine Universität. Auch die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Claudia Roth bewertete Erdogans Auftritte positiv. Sie bemängelte, dass die gegenwärtige Integrationsdebatte von großer Unkenntnis geprägt sei. Erdogan habe sogar dazu beigetragen, die aufgebrachte Stimmung unter Türken zu mildern. Es sei bemerkenswert, dass er als erster türkischer Regierungschef seine Landsleute in Deutschland aufgerufen habe, Deutsch zu lernen.
Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, es sei sinnvoll, mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen anzubieten. Die türkische Sprache müsse denselben Stellenwert als Fremdsprache wie etwa Englisch oder Französisch bekommen. Der Vorsitzende des Islamrats in Deutschland Ali Kizilkaya nannte die Aufregung um Erdogan unverständlich. „Assimilation abzulehnen steht doch nicht im Gegensatz zu Integration“, sagte er. „Wir leiden schließlich in Deutschland darunter, dass viele junge Migranten gar keine Identität mehr haben.“
Am 15. Februar ist im baden-württembergischen Aldingen ein weiteres überwiegend von türkischstämmigen Familien bewohntes Haus völlig ausgebrannt. Alle 14 Bewohner konnten sich vor den Flammen retten. Die Ermittler gehen bisher von vorsätzlicher Brandstiftung aus und schließen einen fremdenfeindlichen Hintergrund nicht aus. Am 19. Februar gab es einen weiteren Brandanschlag auf ein Haus in Dautphetal bei Marburg (Hessen). Die dreiköpfige türkischstämmige Familie bemerkte den Brand rechtzeitig und konnte sich retten. Unmittelbar vor der Brandlegung im Treppenhaus war die Außenwand mit rechtsextremistischen Symbolen beschmiert worden. chw
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