Das türkische Parlament hat Anfang Februar eine Änderung der Verfassung beschlossen, die künftig das Tragen eines Kopftuchs an türkischen Universitäten erlaubt. Staatspräsident Abdullah Gül billigte am 22. Februar die Aufhebung des Kopftuchverbots. Das Militär, Rechtsexperten und die republikanische Opposition kritisieren die Verfassungsänderung scharf.
Die islamisch-konservative Partei AKP von Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat gemeinsam mit der oppositionellen rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) das Kopftuchverbot an den türkischen Universitäten aufgehoben. Künftig soll es Studentinnen erlaubt sein, aus religiösen Motiven ein Kopftuch zu tragen. Es muss unter dem Kinn zusammengebunden sein und darf das Gesicht nicht verdecken („Türban“). Ganzkörperschleier wie Tschador und Burka bleiben weiterhin verboten. Für die Verfassungsänderung war eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Die beiden Parteien verfügen über knapp vier Fünftel aller Sitze im türkischen Parlament (410 von insgesamt 550 Sitzen).
Politiker von AKP und MHP betonten vor der Abstimmung, dass drei Viertel aller türkischen Wähler für die Freigabe des Kopftuches an den Universitäten seien. Die Aufhebung des Kopftuchverbots war eines der politischen Wahlkampfversprechen der seit fünf Jahren regierenden AKP. Staatspräsident Abdullah Gül (AKP) stimmte der Verfassungsänderung zu.
Bisher beruhte das Kopftuchverbot nicht auf einem Gesetz, sondern auf einer Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1989. Das Gericht hatte das Tragen des Kopftuchs in Universitäten und allen anderen öffentlichen Institutionen wie Behörden oder Schulen verboten, da es unvereinbar mit der laizistischen Ausrichtung der Türkei sei, also mit der strikten Trennung von Religion und Staat.
Mit der Verfassungsänderung wollen AKP und MHP klarstellen, dass niemand aufgrund seiner religiösen Kleidung von der Hochschulbildung ausgeschlossen werden dürfe. Das Tragen des „Türban“ gehöre zu den Grundrechten, argumentierte die Regierungspartei AKP. Mit der jetzt erfolgten Änderung ist es künftig zwar Studentinnen erlaubt, das Kopftuch zu tragen. Schülerinnen, Beamtinnen oder Parlamentarierinnen sind von der Änderung hingegen nicht betroffen.
Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) hat angekündigt, das Verfassungsgericht anzurufen. Sie sieht in dem Entwurf einen Verstoß gegen die laizistischen Grundsätze der Republik und fürchtet eine „schleichende Islamisierung“ der Türkei. Rechtsexperten wie Mithat Sancar von der Universität Ankara gehen davon aus, dass das Verfassungsgericht die Verfassungsänderung kippen und damit das Kopftuchverbot bestätigen werde. Dies könnte erneut dazu führen, dass der türkische Kopftuchstreit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ausgetragen wird. Dieser hatte das Kopftuchverbot bereits vor drei Jahren in einem Urteil bestätigt, ein solches Verbot aber nicht zwingend vorgeschrieben. (Az. 44774/98).
Auch das türkische Militär, Juristen sowie säkulare Organisationen und Interessensgruppen kündigten ihren Widerstand gegen die Aufhebung des Kopftuchverbots an. Das türkische Militär hat seit dem dritten Militärputsch 1980 eine sehr einflussreiche Position im politischen Gefüge des Landes. Generalstabschef Yasar Büyükanit bekräftigte, dass das türkische Militär die Aufhebung des Kopftuchverbots ablehne.
Der am Kassationsgericht tätige Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya drohte indirekt mit einem Parteiverbotsverfahren gegen die regierende AKP wegen anti-laizistischer Aktivitäten. Auch das Verwaltungsgericht, die Anwaltskammern, einige Gewerkschaften sowie der Arbeitgeberverband Tüsiad kritisierten die Verfassungsänderung. Selbst der liberale Verfassungsrechtler und Autor des Änderungsentwurfs Ergun Özbudun räumte ein, dass die Aufhebung des Verbots dazu führen könne, dass Frauen ohne Kopftuch verstärkt zum Tragen des Kopftuchs aufgefordert werden könnten. In der Hauptstadt Ankara demonstrierten vor der parlamentarischen Abstimmung mehr als 100.000 Menschen gegen die Abschaffung des Kopftuchverbots. th
Weitere Informationen:
www.echr.coe.int (Homepage EGMR)