Der Plan der Bundesregierung, 20.000 ausländische Internet- und Software-Spezialisten auf Basis der so genannten Green Card" ins Land zu holen, führte in Deutschland zu politischen Kontroversen rund um das Thema Einwanderung. Noch während des Landtagswahlkampfs in Nordrhein-Westfalen (NRW) hatte CDU-Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers versucht, die Wähler gegen die Anwerbung von EDV-Spezialisten zu mobilisieren. Daraufhin versicherte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, ein Einwanderungsgesetz werde es in dieser Legislaturperiode nicht geben. Nur Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatten sich auf die Forderung nach einer umfassenden Regelung von Einwanderung festgelegt.
Nach Ende des Landtagswahlkampfs in NRW änderten die Unionsparteien ihre Position. Mehrere Spitzenpolitiker von CDU und CSU verlangten, die Anwerbung von 20.000 EDV-Spezialisten mit einem Zuwanderungsgesetz zu verbinden. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Parteivorsitzender Edmund Stoiber betonte nun, Deutschland benötige alle Köpfe, die unserem Land und der Wirtschaft helfen können, voran zu kommen."
Zu den Befürwortern eines Einwanderungsgesetzes gehört nun auch der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Er plädierte für eine Netto-Zuwanderung in einer Größenordnung von rund 300.000 Personen pro Jahr." Im Gegenzug verlangten Müller, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) eine Einschränkung des Asylrechts. An die Stelle des derzeit geltenden, vom Grundgesetz eingeräumten individuell einklagbaren Grundrechts soll eine institutionelle Garantie treten. Ablehnende Asylbescheide sollten in Zukunft nur vor einer unabhängigen Beschwerdeinstanz angefochten werden können: Das würde," so Beckstein, unsere
Verfahren drastisch verkürzen." Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler indes warnte seine Partei vor Vorschlägen, das Grundrecht auf Asyl zu ändern: Dies wäre eine Schande für eine christlich-demokratische Partei".
Noch einen Schritt weiter ging Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Er meinte, ein kohärentes deutsches Einwanderungs- und Integrationsrecht" sei überfällig". Merz nannte Qualifikation und Deutschkenntnisse als mögliche Kriterien für die Auswahl von Einwanderern.
Zur Versachlichung der Debatte kündigte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Mitte Juni die Einberufung einer unabhängigen Sachverständigenkommission an, der neben Vertretern der Parteien, Länder und Kommunen auch Experten und Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften, Kirchen etc. angehören sollen. Diese Sachverständigenkommission solle so bald wie möglich" eingesetzt werden und ihre Arbeit bis Mitte 2001 abschließen. Ziel sei die Erarbeitung praktischer Lösungsvorschläge, wie wir die Zuwanderung besser als bisher unter Wahrung unserer humanitären Grundsätze und zugleich entsprechend unseren wirtschaftlichen und politischen Interessen steuern können." Dabei komme es darauf an, den gesamten Rechtsrahmen zu ordnen und übersichtlicher zu gestalten."
Auch die Vereinfachung und Beschleunigung von Asylverfahren, die in Deutschland durchgeführt werden, sei zu prüfen. Eine änderung des im Grundgesetz verankerten Asylrechts schließt Schily derzeit jedoch aus. Zugleich erwägt der Bundesinnenminister die Aufwertung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu einer Einwanderungsbehörde.
Auf Schilys Vorschläge gab es verhalten positive Reaktionen. Wolfgang Bosbach, innenpolitischer Sprecher der CDU, kann sich sowohl die Mitarbeit seiner Partei in der Sachverständigenkommission als auch die Schaffung einer Einwanderungsbehörde vorstellen. Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete Schilys Vorschläge als klugen Schachzug". Gleichzeitig forderte er mehr Spracherwerbs- und Integrationsangebote sowie die Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylbewerber. Auch Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, hofft, die Arbeit der Sachverständigenkommission werde zu einer Systematisierung der Einwanderungsgesetzgebung" führen. Sie rechnet allerdings nicht mit der baldigen Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes. rm