Nachdem die CDU-Zuwanderungskommission bereits Anfang Mai ihr Einwanderungs- und Integrationskonzept vorgestellt hatte, veröffentlichte die Zuwanderungskommission der Bundesregierung ihren Bericht am 4. Juli.
Die unabhängige Sachverständigenkommission war von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Sommer 2000 einberufen worden und arbeitete unter Leitung von Rita Süssmuth (CDU). Ihr Bericht trägt den Titel Zuwanderung gestalten - Integration fördern". Darin wird deutlich, dass eine Steuerung der Gesamtzuwanderung über Quoten und Kontingente nicht angestrebt wird. Lediglich der Zuzug von Arbeitsmigranten, Auszubildenden und Hochqualifizierten soll zum Teil über Zielgrösen gesteuert werden.
In Kapitel II Langfristig Wohlstand sichern" kommt die Kommission zu folgendem Ergebnis: Da Deutschland über wenig Erfahrung mit gesteuerter, arbeitsmarktorientierter Zuwanderung im Rahmen eines Gesamtkonzeptes" verfügt, müsse der Anfang als Testphase" gestaltet werden. Das Zuwanderungskonzept soll daher so flexibel wie möglich sein, um zukünftig kurzfristig auf neue Entwicklungen reagieren zu können.
Die Kommission empfiehlt, qualifizierte Zuwanderer künftig über ein bundeseinheitliches Punktesystem auszuwählen. Die Obergrenze für dauerhafte Zuwanderung nach dem Punktesystem soll im ersten Jahr bei 20.000 Personen zuzüglich ihrer Familienangehörigen liegen. Die Bewerber müssen eine bestimmte Mindestpunktzahl erreichen (z.B. 65-70% der Höchstzahl), die eine positive Integrationsprognose" erlaubt. Kriterien für die Punktevergabe sind im Wesentlichen Alter, Qualifikation und Sprachkenntnisse (siehe übersicht1). Als Antragsvoraussetzungen sollen gelten: Der Bewerber darf nicht älter als 45 Jahre sein, muss gesund sein und über einen guten Leumund" sowie ausreichende finanzielle Mittel für die Anfangszeit verfügen.
Bei der Zuwanderung über das Punktesystem handelt es sich um ein eigenes Antragsrecht gut ausgebildeter Bewerber unabhängig von der Arbeitsmarktlage in Deutschland, d.h. es muss keine Arbeitsplatzzusage vorliegen.
Weiter schlägt die Süssmuth-Kommission vor, die Zuwanderung von Führungskräften und Schlüsselpersonal der Wirtschaft sowie Wissenschaftlern zu erleichtern.
Um akute Engpässe auf dem Arbeitsmarkt ausgleichen zu können, empfehlen die Sachverständigen, ein jährliches Kontingent von 20.000 Personen für einen auf maximal fünf Jahre befristeten Aufenthalt einzurichten. Diese Arbeitsmigranten würden nicht über das Punktesystem kommen. Ihre befristete Zuwanderung erfolgt auf Initiative von Unternehmen, die Arbeitskräftebedarf bzw. Engpässe haben. Erst wenn ein Arbeitsplatzangebot vorliegt, kann die Zuwanderung erfolgen. Eine spätere Bewerbung für den Daueraufenthalt nach dem Punktesystem ist für diese Arbeitsmigranten möglich.
über quantitative Zielgrösen soll zukünftig der dauerhafte Zuzug von gut ausgebildeten Fachkräften (Punktesystem), der temporäre Zuzug von Arbeitnehmern, für die Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt besteht, sowie von ausländischen Auszubildenden erfolgen. Die Zuwanderung von ausländischen Unternehmensgründern mit einer tragfähigen Geschäftsidee, von Studenten sowie Spitzenkräften für Wissenschaft und Wirtschaft soll keiner quantitativen Beschränkung unterliegen.
Generell hält die Kommission am individuellen Rechtsanspruch auf Asyl fest (Kapitel III Humanitär handeln"), wie er in Artikel 16 a des Grundgesetzes geregelt ist (Politisch Verfolgte geniesen Asylrecht."). Sie plädiert für eine Beschleunigung der Asylverfahren, so dass diese in der Regel innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein sollen. Auch der Asylmissbrauch soll eingeschränkt werden. Beispielsweise sollen die Fotos illegal eingereister Ausländer (siehe auch Artikel 2), die aufgegriffen wurden, gespeichert und deutschen Behörden zugänglich gemacht werden. Im Hinblick auf nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung spricht sich die Kommission für eine Anerkennung der Schutzbedürftigkeit dieser Personen aus. Keine Einigung konnte allerdings darüber erzielt werden, ob sich die Schutzgewährung bereits aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt, oder ob hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Derzeit sind diese zwei Verfolgungsarten kein Asylgrund, da es sich nicht um politische Verfolgung im Sinne des Grundgesetzes handelt.
Zur besseren Integration der Zuwanderer empfiehlt die Kommission in Kapitel IV (Miteinander leben"), ausreichend Lehrer für die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) aus- und fortzubilden, DaZ für Migrantenkinder in den regulären Unterricht mit aufzunehmen sowie muttersprachlichen Unterricht am Nachmittag anzubieten. Ferner soll die allgemeine Schulpflicht auch für Kinder von Asylbewerbern gelten.
Bundesinnenminister Schily kündigte Anfang Juni an, dass er bis September einen Gesetzesvorschlag einbringen will, der alle Zuwanderungsbereiche neu regeln wird. Er signalisierte bereits, dass er eine Quotierung für Arbeitsmigranten ablehnt und ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild befürwortet. Ferner will Schily das System der Aufenthaltstitel vereinfachen. Nach seinen Vorstellungen soll es zukünftig weniger Typen von Aufenthaltstiteln geben. ähnliches schlägt auch die Süssmuth-Kommission vor.
Das Zuwanderungspapier der CDU, das unter der Leitung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller erarbeitet und Anfang Mai vorgestellt wurde, ist inzwischen unter Mitwirken der CDU-Regionalkonferenzen überarbeitet worden. Am 7. Juni lag der endgültige Beschluss des Bundesausschusses der CDU vor. In der ursprünglichen Fassung hies das Konzept Zuwanderung steuern. Integration fördern." Im Titel der nun verabschiedeten Fassung ist die Rede von Zuwanderung steuern und begrenzen. Integration fördern." Auch in der Einleitung wird eine Akzentverschiebung deutlich. Dort wird in der Neufassung ausdrücklich erklärt, Deutschland sei kein klassisches Einwanderungsland" und könne dies auf Grund seiner historischen, geographischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten auch nicht werden".
Im Rahmen des von den Christdemokraten vorgeschlagenen Zuwanderungsbegrenzungs- und Integrationsgesetzes lehnt die CDU jetzt ausdrÜcklich geplante Zuwanderungsregelungen der EU ab, die Über deutsche Regelungen hinausgehen. Auch wird in der letzten Fassung explizit auf die Problematik nichtstaatlicher Verfolgung hingewiesen, der sich die Politik bewusst" werden soll.
Signifikante Veränderungen gab es auch hinsichtlich der Integrationspolitik. Die CDU plädiert nun dafÜr, dass das fÜr Aussiedler geltende Verfahren, wobei deutsche Sprachkenntnisse schon vor der Einreise nach Deutschland erworben werden, [..] fÜr Zuwanderer generell Anwendung finden" sollte. Bei Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse sieht die Union vor, einen besseren Aufenthaltsstatus zu vergeben und diese Zuwanderer bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu bevorzugen.
Wie Schily mehrfach betonte, wolle er in der Zuwanderungsfrage mit den Oppositionsparteien zu einer Einigung kommen. CDU und CSU lehnten die Einladung zu vorparlamentarischen Konsensgesprächen jedoch ab. Sie wollen abwarten, bis die Regierungskoalition ein Gesamtkonzept vorgelegt hat. Mit uns gibt es keine Runden Tische", so der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz.
Einer aktuellen Umfrage des Instituts fÜr Demoskopie Allensbach zufolge sprachen sich im Juni 2001 mehr Befragte (53%) dafÜr aus, den Zuzug von Migranten nach Deutschland zu verringern als im November vergangenen Jahres (47%, siehe Übersicht 2). Weniger Befragte (28%) hielten im Juni das derzeitige Niveau der Zuwanderung fÜr erhaltenswert als im November 2000 (35%). as