Die Debatte um die Einführung eines Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger auf lokaler und eventuell regionaler Ebene spaltet sowohl die belgische Regierungskoalition als auch die beiden Landesteile Flandern und Wallonien.
In der Koalitionsvereinbarung zwischen den flämischen Liberalen (VLD) unter Ministerpräsident Guy Verhofstadt, den wallonischen (frankophonen) Liberalen sowie den flämischen und wallonischen Sozialisten war die Einführung eines Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger vereinbart worden. Inzwischen hat sich die VLD, stärkste Partei im belgischen Parlament, jedoch von diesem Vorhaben distanziert. Die anderen Regierungsparteien halten nach wie vor an der Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten fest. Gemeinsam mit den flämischen Grünen könnte eine Mehrheit ohne die Liberalen zustande kommen.
Neben der Regierungskoalition sind auch die beiden Landesteile gespalten. Alle wichtigen wallonischen Parteien sind für ein Ausländerwahlrecht. Die meisten flämischen Parteien sind dagegen, mit Ausnahme der Grünen und der Sozialisten. Vor allem die flämischen Sozialisten stehen unter großem Druck, ihre Zustimmung zu dem Gesetzesvorhaben zurück zu ziehen.
Hintergrund der Auseinandersetzung sind die Wahl erfolge des rechtsextremen Vlaams Block im flämischen Landesteil. Parteien, die gegen ein Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer sind, argumentieren, dass der populistische Vlaams Block von einer Ausweitung der Rechte von Nicht-EU-Bürgern profitieren könnte. Als Gegenvorschlag brachten sie eine Vereinfachung der Einbürgerungsregelungen ins Gespräch.
Die Befürworter des Wahlrechts für Drittstaatsangehörige lehnen dies jedoch ab und verweisen auf die liberale Praxis in anderen EU-Staaten (siehe Tabelle). „Politische Partizipation auf lokaler Ebene ist ein wichtiger Integrationsfaktor", sagte der sozialistische Präsident des Senats Philippe Mahoux gegenüber der Presse.
Das Wahlrecht soll von der Länge des Aufenthalts abhängen. Unterschiedliche Vorstellungen gibt es darüber, ob ein Wahlrecht neben der lokalen auch die regionale Ebene umfassen soll. Strittig ist außerdem, ob neben dem aktiven auch das passive Wahlrecht eingeräumt werden soll. Nach Angaben der nationalen Statistikbehörde lebten im Jahr 2000 etwa 333.500 Nicht-EU-Ausländer in Belgien.
Die Komplexität der politischen Situation hat die Parteien dazu veranlasst, nach Alternativen bei der Entscheidungsfindung zu suchen. Die flämischen Parteien hatten zunächst eine Verlagerung der Entscheidung auf die regionalen Parlamente in Erwägung gezogen. Dies würde jedoch eine Änderung der Verfassung erfordern, wofür keine Mehrheit abzusehen ist. Die VLD hat nun die Einleitung eines so genannten „Alarmverfahrens" angekündigt, um die Debatte zunächst zu stoppen. Bei dieser Prozedur wäre die VLD im Senat jedoch auf die Stimmen des Vlaams Block angewiesen, um die notwendige Dreiviertel-Mehrheit zu bekommen. Die Liberalen würden somit nicht nur die Koalitionsvereinbarung brechen, sondern auch mit den Rechtsextremen kooperieren. VLD-Chef Karel de Gucht zeigte bereits Bedenken gegen dieses Vorhaben, auch Innenminister Patrick Dewael (VLD) gab zu erkennen, seine Partei würde wohl eher eine Niederlage beim Ausländerwahlrecht hinnehmen, als mit dem Vlaams Block zu kooperieren.
Unterdessen kamen zwei Umfragen unter der belgischen Bevölkerung zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei einer ersten Erhebung, die ein privates Marktforschungsinstitut Mitte Oktober durchführte, sprachen sich zunächst 70% der Befragten gegen die Einführung eines Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger aus. Die Ergebnisse wurden von Politikwissenschaftlern aufgrund einer zu niedrigen Stichprobe kritisiert. Eine zweite Umfrage der frankophonen Tageszeitung Le Soir kam Anfang November zu dem Ergebnis, dass 55% der Belgier einer Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten positiv gegenüberstehen. Beide Umfragen zeigten jedoch, dass auch in der Bevölkerung eine klare Spaltung zwischen Wallonen und Flamen existiert. Die Mehrheit der Wallonen war für eine Einführung des Wahlrechts, die Mehrheit der Flamen dagegen. me
Weitere Informationen:
www.belgien-info.net/Aktuelles/4q03
/migrantenwahlrecht.htm
http://eprints.anu.edu.au/archive/00001568/01/waldrauch_paper.pdf
www.migrationinformation.org/Profiles/display.cfm?ID=164