Der von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Anfang November vorgelegte Entwurf zum Zuwanderungs- und Integrationsgesetz wurde am 7. November vom Bundeskabinett verabschiedet. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bezeichnete den Gesetzentwurf als „historische Weichenstellung für Deutschland".
Bereits Ende Juli hatte Schily einen Referentenentwurf vorgelegt, der auf breiter gesellschaftlicher Ebene diskutiert wurde (vgl. MuB 6/01). Kritik an Schilys Entwurf kam damals sowohl von CDU und CSU als auch vom Koalitionspartner. Mit Bündnis 90/Die Grünen einigte sich der Innenminister nach mehrwöchigen Verhandlungen auf einen Kompromiss, den das Bundeskabinett am 7. November billigte.
Hauptpunkte in dem fast 250 Seiten umfassenden Zuwanderungsgesetz sind die Zuwanderung von Arbeitskräften nach einem Regelverfahren und einem Punktesystem. Migranten, die über das Punktesystem kommen, müssen kein konkretes Arbeitsplatzangebot in Deutschland nachweisen. Sie werden nach verschiedenen Kriterien (z.B. Alter, Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse etc.) ausgewählt, die sie für Deutschland attraktiv machen. Bewerber aus zukünftigen EU-Mitgliedsländern sollen bevorzugt werden können. Das Regelsystem steuert die bedarfsgerechte Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmern. Die Anzahl dieser Zuwanderer richtet sich nach der Nachfrage auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ausdrücklich erwünscht ist die Zuwanderung von Hochqualifizierten und von Existenzgründern. Sie soll nicht durch Vorgabe einer Obergrenze limitiert werden.
Das Aufenthaltsrecht soll dahin gehend vereinfacht werden, dass es in Zukunft nur noch zwei Aufenthaltstitel geben wird: eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die gegebenenfalls verlängert werden kann, und ein unbefristetes Recht auf Niederlassung. Der Status der Duldung soll zukünftig entfallen.
Bündnis 90/Die Grünen haben in den Verhandlungen mit der SPD erreicht, dass die Schutzbedürftigkeit im Fall von geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung anerkannt wird. Zwar wird dies auch in Zukunft kein Asylgrund im Sinne des Grundgesetzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention sein, aber anerkannte Opfer geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung sollen ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten, sobald die Duldung abgeschafft worden ist. Damit wird auch der Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. ein Zuschuss zum Lebensunterhalt in Höhe des Sozialhilfesatzes möglich.
Von seinem ursprünglichen Vorhaben, das Nachzugsalter für Kinder von Migranten im Regelfall auf 12 Jahre abzusenken, ist Schily abgewichen. Kinder von Zuwanderern sollen bis zum Alter von 18 Jahren zuwandern können, wenn sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Kinder, die noch kein Deutsch sprechen, sollen bis zu ihrem 14. Lebensjahr nachziehen können. Nach der gegenwärtigen Regelung dürfen Kinder zugewanderter Nicht-EU-Bürger bis 16 Jahre nachziehen.
Ein weiteres Kernstück ist die geplante Integrationsvereinbarung. Ausländische Zuwanderer sollen Anspruch auf einen Deutschkurs sowie Orientierungskurse zur Kultur, Geschichte, Verfassung und Rechtsordnung Deutschlands haben. Zugleich sollen jene, die bei der Einreise noch nicht Deutsch sprechen, zum Besuch eines Deutschkurses verpflichtet werden. Gleiches soll rückwirkend für jene gelten, die noch keine sechs Jahre im Land sind und keine ausreichenden Deutschkenntnisse nachweisen können. Daran knüpfen sich positive wie negative Sanktionen: Wer die Kurse nicht oder nicht erfolgreich absolviert, muss der Ausländerbehörde Rechenschaft ablegen. Dies kann unter Umständen Konsequenzen haben, wenn die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt wird. Wer die Kurse hingegen mit Erfolg besucht, soll schon nach sieben Jahren eingebürgert werden können.
Die FDP kündigte bereits ihre Unterstützung für das Vorhaben der Regierung an, während CDU und CSU dem Gesetzentwurf nicht zustimmen wollen. Sie kritisieren grundsätzlich, dass das Gesetz die Zuwanderung nach Deutschland ausweite, statt sie zu begrenzen. Auch die Schutzgewährung im Falle nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung lehnen CDU/CSU ab. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Absenkung des Nachzugsalters auf 14 Jahre. „Diese Zuwanderung führt direkt in die Sozialsysteme hinein", so Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), da eine erfolgreiche Sozialisierung dieser Jugendlichen in deutschen Schulen nicht mehr zu gewährleisten sei. Die Unionsparteien hatten ein deutlich niedrigeres Nachzugsalter von 6 (CSU) bzw. 10 Jahren (CDU) gefordert.
Nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September traten vor allem Sicherheitsaspekte in den Vordergrund der Zuwanderungsdebatte. Schily unterteilte sein Gesetzesvorhaben daraufhin in sicherheitsrelevante Maßnahmen sowie die Regelung von Zuwanderung und Integration. Das Bundeskabinett billigte am 7. November auch sein zweites Sicherheitspaket, in dem änderungen des Ausländerrechts vorgesehen sind. Ausländern, die verdächtigt werden, mit Terrorgruppen zu sympathisieren bzw. in ihnen aktiv zu sein, kann künftig ein Visum zur Einreise nach Deutschland verweigert werden. Personen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gefährden oder politisch motivierte Straftaten verüben, kann die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden. Hier jedoch _ anders als von Schily vorgesehen _ reicht der Verdacht allein nicht aus. Massive Kritik daran kam aus den Reihen der Unions
parteien. Es bleibe immer noch zu schwierig, des Terrorismus verdächtigte Ausländer abzuschieben.
Der kürzlich vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf, dem wochenlange Verhandlungen zwischen den rot-grünen Koalitionspartnern vorangingen, muss nun den Bundestag und anschließend den Bundesrat passieren. Dort verfügen die SPD-regierten Länder jedoch nur über 31 Stimmen, für eine Mehrheit im Bundesrat sind 35 Stimmen notwendig. Schily warb daher um Zustimmung bei den Länderregierungen der Union. Für Dezember wurde zu diesem Thema eine Bundesratssondersitzung anberaumt.
Die Nettozuwanderung von Ausländern nach Deutschland sank im Jahr 2000 im Vergleich zum Vorjahr. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden zogen im vergangenen Jahr 649.000 Ausländer nach Deutschland, während 562.000 Ausländer das Land verließen. Daraus ergibt sich ein Zuwanderungsüberschuss von 86.000 Personen ohne deutschen Pass (1999: 118.000). Unter den 649.000 zugezogenen Nichtdeutschen waren 79.000 Asylbewerber (1999: 95.000). Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um knapp 17%. Des Weiteren kamen im Jahr 2000 rund 96.000 Spätaussiedler in die Bundesrepublik. Im Vergleich zum Vorjahr verringerte sich der Aussiedlerzuzug um knapp 9% (1999: 105.000). as