Auf ihrer Klausurtagung Ende August hat die Bundesregierung eine Erleichterung des Zuzugs von Ingenieuren aus den osteuropäischen EU-Beitrittsländern beschlossen. Auch für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen soll es künftig leichter sein, in Deutschland zu arbeiten. Bis Herbst 2008 soll eine Arbeitsgruppe zudem Vorschläge für die langfristige Gestaltung der deutschen Zuwanderungspolitik erarbeiten.
Zuzug von Ingenieuren: Nach monatelanger Diskussion über den Mangel an Fachkräften in einigen Branchen (vgl. MuB 4/07, 6/07) beschloss die Bundesregierung auf ihrer Klausurtagung am 23./24. August im brandenburgischen Schloss Meseberg, den Zuzug von Elektro- und Maschinenbauingenieuren aus den zwölf neuen EU-Staaten ab 1. November 2007 zu erleichtern. Bisher war der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Osteuropäer weitgehend versperrt (vgl. MuB 3/04, 2/06). Auf der abschließenden Pressekonferenz betonten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), dass angesichts der hohen Arbeitslosenquote zunächst das inländische Arbeitskräftepotenzial ausgeschöpft werden soll, z. B. durch die Weiterbildung von Arbeitslosen. Die Zuwanderung ausländischer Ingenieure sei aber dennoch notwendig. Konkret soll der Zuzug dadurch erleichtert werden, dass auf die so genannte individuelle Vorrangprüfung verzichtet wird. Bisher mussten potenzielle Arbeitgeber vor der Einstellung nachweisen, dass keine gleich qualifizierte Arbeitskraft aus Deutschland bzw. aus den alten EU-Ländern zur Verfügung steht.
Ausländische Absolventen: Als zweite konkrete Sofortmaßnahme zur Beseitigung des Fachkräftemangels soll es ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen erleichtert werden, eine Stelle in der Bundesrepublik anzunehmen. Auch hier entfällt die Vorrangprüfung. Allerdings sollen sie nur drei Jahre in Deutschland arbeiten dürfen und anschließend „zur Entwicklung in ihren Ländern beitragen“, so Müntefering. Der Vizekanzler und Arbeitsminister betonte auch, dass Deutschland keine Zuwanderung von Geringqualifizierten brauche.
Mindestverdienstgrenze: Nicht einigen konnte sich die Bundesregierung auf eine Senkung der Mindestverdienstgrenze für hochqualifizierte Zuwanderer, die der zentrale Streitpunkt in der Diskussion um den Fachkräftemangel war. Nach derzeitiger Rechtslage erhalten Hochqualifizierte nur dann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, wenn sie ein Jahreseinkommen von mindestens 85.000 Euro erzielen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte vorgeschlagen, diese Grenze auf 60.000 Euro zu senken. Die SPD möchte dagegen lieber deutsche Arbeitslose für die offenen Stellen qualifizieren. Die Frage der Mindestverdienstgrenze soll nun in den kommenden Monaten als Teil eines Gesamtkonzepts zur Neugestaltung der Einwanderung von Arbeitskräften behandelt werden (vgl. MuB 6/07).
Neues Konzept: Merkel und Müntefering betonten in diesem Zusammenhang, dass mittel- und langfristig eine „arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwanderung“ angesichts der alternden Gesellschaft „notwendig und erwünscht“ sei. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Bundesministerien für Arbeit und Bildung soll bis spätestens Herbst 2008 konkrete Vorschläge erarbeiten. Sie soll auch Erfahrungen anderer Länder berücksichtigen. Die Möglichkeit eines Punktesystems, bei dem Einwanderer für bestimmte Merkmale wie Qualifikation, Alter oder Sprachkenntnisse Punkte erhalten, soll geprüft werden. Die SPD befürwortet diesen Vorschlag, der bereits in dem 2001 vorgelegten Bericht der Unabhängigen Kommission Zuwanderung (Süssmuth-Kommission) enthalten war (vgl. MuB 4/01). Die Unionsparteien hatten die Einführung eines Punktesystems bei den Verhandlungen um das Zuwanderungsgesetz mit ihrer Mehrheit im Bundesrat verhindert (vgl. MuB 5/04).
Reaktionen: Aus Sicht der Grünen gehen die Beschlüsse nicht weit genug. Die Bundesvorsitzende Claudia Roth bezeichnete die Maßnahmen zwar als „kleinen Fortschritt“. Gleichzeitig forderte sie „eine transparente und moderne Einwanderungspolitik“, zu der auch ein Punktesystem gehöre. Weiter sagte sie, dass man nicht „in die alte Gastarbeiterlogik verfallen“ dürfe. Den Familienangehörigen der einreisenden Ingenieure solle ebenfalls sofortiger Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden, da das Angebot ansonsten unattraktiv sei. Der migrationspolitische Sprecher der Grünenfraktion Josef Winkler übte zudem Kritik an der Befristung des Aufenthaltsrechts für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen.
Auch die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion Sevim Dagdelen kritisierte die Beschlüsse. Diese würden „die Unternehmen von ihren Aus- und Weiterbildungspflichten“ befreien.
Der Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Ausländerrecht Hartfrid Wolff begrüßte die Beschlüsse der Bundesregierung „als Schritt in die richtige Richtung“. Allerdings gingen sie nicht weit genug. Die FDP fordert u. a. die sofortige Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus den östlichen EU-Staaten sowie die Senkung bürokratischer Hürden für Unternehmen, die ausländische Arbeitskräfte einstellen wollen.
Spitzenverbände der Wirtschaft forderten ebenfalls eine weitere Liberalisierung der Zuwanderungspolitik: „Dazu gehören die erleichterte Steuerung von Zuwanderung durch ein Punktesystem und die Senkung der Mindestverdienste beim Zuzug ausländischer Fachkräfte“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Heike Maria Kunstmann.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise äußerte hingegen Zweifel, ob Deutschland als Zielland für die osteuropäischen Ingenieure überhaupt interessant sei, da diese Staaten selbst im Aufschwung seien. Auch hätten andere Länder wie Großbritannien nach der Osterweiterung keine Barrieren errichtet. Gleichzeitig empfahl Weise der Bundesregierung, trotz des aktuellen Fachkräftemangels nicht zu viele Leute ins Land zu holen. me
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