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Ausgabe 1
Februar 2005
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Deutschland: Antidiskriminierungsgesetz

Der Deutsche Bundestag hat am 21. Januar 2005 in erster Lesung den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes behandelt. Damit setzt die rot-grüne Bundesregierung Richtlinien der Europäischen Union um. Ein erster Versuch zur Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes war im Sommer 2002 gescheitert (vgl. MuB 5/02).

Das Gesetz soll Diskriminierungen aufgrund von „Rasse“ bzw. ethnischer Herkunft, Weltanschauung, Alter, Geschlecht, Behinderung und sexueller Identität verhindern bzw. beseitigen. Der Regelungsbereich erstreckt sich auf das Arbeits- und das Zivilrecht.

Im Arbeitsrecht betrifft das Benachteiligungsverbot den Zugang zu Erwerbstätigkeit, den beruflichen Aufstieg, die Arbeits- und Entlassungsbedingungen und das Arbeitsentgelt. Der Entwurf regelt das Beschwerderecht von Beschäftigten, die von einer Diskriminierung betroffen sind. Dabei können Betroffene von einem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen, wenn der Arbeitgeber nach einer Beschwerde die Benachteiligung nicht zu unterbinden sucht. Ferner können sie Schadenersatz verlangen.

Allerdings sieht der Entwurf kein uneingeschränktes Benachteiligungsverbot im Bereich Beschäftigung und Beruf vor. So ist beispielsweise eine Ungleichbehandlung wegen Religion oder Weltanschauung bei einer Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften erlaubt. Dies gilt dann, „wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung angesichts des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung nach der Art der bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“ Damit dürfen Religionsgemeinschaften ihre eigenen Konfessionsangehörigen bei der Stellenvergabe, z.B. in Altersheimen oder Kindergärten, bevorzugen. Mit dieser Regelung kommt die rot-grüne Bundesregierung den Kirchen entgegen, deren Kritik in der vergangenen Legislaturperiode mitverantwortlich dafür war, dass ein erster Versuch zur Umsetzung der EU-Richtlinien scheiterte (vgl. MuB 5/02). Der jetzige Entwurf sieht ferner Ausnahmeregelungen für die Merkmale Geschlecht und Alter vor.

Im Zivilrecht betrifft das Benachteiligungsverbot den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Hier gilt das Gesetz bei so genannten Massengeschäften, die laut Definition „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen.” Darunter fallen etwa der Einzelhandels- und Gastronomiebereich oder wenn eine Wohnungsgesellschaft eine Vielzahl von Wohnungen anbietet.

Allerdings sind auch im Bereich des Zivilrechts Ausnahmen vorgesehen. So ist eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und Geschlecht laut Gesetzentwurf dann erlaubt, wenn ein „sachlicher Grund“ vorliegt. Dieses bezieht sich etwa auf das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften oder auf den Abschluss von privatrechtlichen Versicherungsverträgen, bei denen je nach Gruppenmerkmal ein statistisch abgesichertes Risiko berechnet wird. Die Formulierung „sachlicher Grund“ ist im Gesetzentwurf allerdings nicht näher erläutert.

Im Gegensatz zu den anderen Merkmalen gilt das Diskriminierungsverbot aufgrund der ethnischen Herkunft uneingeschränkt im Arbeitsrecht, ebenso für Massenverträge aller Art. Das Gesetz findet jedoch keinerlei Anwendung, wenn ein „besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis“ der Vertragsschließenden zum Tragen kommt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Mieter und Vermieter Wohnungen im selben Haus nutzen. Laut Entwurf kann ein Vermieter einen Mietinteressenten folglich allein wegen dessen ethnischer Herkunft ablehnen, wenn er im selben Mehrfamilienhaus wohnt.

Eine wesentliche Neuerung des Entwurfs ist die Beweislastregelung. Die Beweislast kehrt sich dann um, wenn Betroffene Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. In diesem Fall muss der Beschuldigte nachweisen, in Einklang mit dem Gesetz gehandelt zu haben, wobei im Streitfall letztlich die Gerichte entscheiden.

Laut Gesetzentwurf soll eine Antidiskriminierungsstelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Jugend und Frauen eingerichtet werden. Sie soll Ansprechpartner für Betroffene sein. Des Weiteren soll sie im Rahmen ihrer Arbeit auch Nichtregierungsorganisationen einbeziehen sowie wissenschaftliche Untersuchungen durchführen.

Der baden-württembergische Justizminister und Ausländerbeauftragte Ulrich Goll (FDP) kritisierte den Gesetzentwurf scharf. Er bezeichnete ihn als einen „Anschlag auf die Vertragsfreiheit“. Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Norbert Röttgen nannte den Entwurf ein „Gesetz zur Bekämpfung der Vertragsfreiheit“. Der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Dieter Hundt betonte, dass Diskriminierungen auch „schon heute verboten“ seien. Das Gesetz sei ein „Eldorado für Rechtsanwälte“.

Olaf Scholz, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, bezeichnete entsprechende Vorwürfe als „Propaganda“. Vielmehr handle es sich um ein „pragmatisches Gesetz, mit dem kein anständiger Bürger Probleme haben wird.“ Auch Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, sieht im Entwurf einen „ausgewogenen Kompromiss“. Zwar sei es eine „Illusion, dass Diskriminierung nun per Knopfdruck über Nacht verschwindet“, so Beck. Ein Antidiskriminierungsgesetz sei allerdings ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal der Integration, dass es Betroffenen zudem erlaube, ihre Rechte selbstbewusst einzufordern und durchzusetzen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßte den Entwurf ebenfalls: „Das Antidiskriminierungsgesetz ist ein wichtiger Baustein für eine Kultur der Gleichbehandlung, die eine entscheidende Voraussetzung für Integration darstellt“. Der Entwurf schaffe „ein effektives Instrumentarium gegen Diskriminierungen im Alltagsleben“, so Beck weiter.

Der Vorsitzende des Interkulturellen Rates Jürgen Miksch bewertete den Entwurf grundsätzlich positiv. Er kritisierte jedoch die Ausgestaltung der Antidiskriminierungsstelle. So sei sie nur auf Bundesebene geplant, ohne Verankerung in den Ländern und Kommunen. Dies geschehe offenbar deshalb, um der Zustimmungspflicht des Bundesrates zu entgehen. Außerdem bemängelte Miksch, dass die Antidiskriminierungsstelle Beratung durch andere Stellen vermitteln bzw. Anfragen weiterleiten soll. Eine wie in der Richtlinie vorgesehene unabhängige Aufgabenerledigung sei somit nicht gewährleistet.

Mit dem Antidiskriminierungsgesetz setzt die Bundesregierung Richtlinien der Europäischen Union um. Die Richtlinie zum Verbot von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft (2000/43/EG) hätte bereits bis zum 19. Juli 2003 umgesetzt werden müssen (vgl. MuB 7/03), weshalb die Kommission im Sommer 2004 beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen Deutschland und weitere Länder (Österreich, Finnland, Griechenland, Luxemburg) einreichte. Ferner setzt die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf auch die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG) um. Allerdings geht die Bundesregierung über die Vorgaben aus Brüssel hinaus. Diese sahen im Zivilrecht nur ein Benachteiligungsverbot wegen „Rasse“ und ethnischer Herkunft vor. Im vorliegenden Entwurf wurde es um die Merkmale Alter, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität erweitert.

Weitere Informationen:
http://www.migration-info.de/dokumente_und_materialien/deutschland/index.htm
http://www.migration-info.de/dokumente_und_materialien/europa/index.htm

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