Der Visa-Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit fort. Damit ist die Regierungskoalition mit ihrem Vorhaben gescheitert, die Zeugenvernehmung zu beenden. Gegen einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss des Ausschusses hatte die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht mit Erfolg geklagt.
Der Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Visa-Politik der Bundesregierung und der Vergabepraxis in verschiedenen deutschen Auslandsvertretungen wie etwa in der ukrainischen Hauptstadt Kiew (vgl. MuB 3/05). Die Opposition wirft der Regierung vor, mit Erlassen massenhaften Visa-Missbrauch und damit illegale Einwanderung und Schwarzarbeit begünstigt zu haben.
Die rot-grüne Mehrheit im Ausschuss beschloss am 2. Juni, sechs geplante Sitzungstage zu streichen. Die Obmänner Olaf Scholz (SPD) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) erklärten, der Ausschuss müsse dem Parlament laut Untersuchungsausschussgesetz noch vor Ablauf der Legislaturperiode einen Bericht vorlegen. Angesichts der voraussichtlichen Neuwahl des Bundestages am 18. September 2005 könne man jedoch nicht noch weitere Zeugen befragen und zugleich den Bericht erstellen.
Die Opposition reichte daraufhin beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Eilantrag ein, dem die Richter stattgaben (Az.: 2 BvQ 18/05). Der Zweite Senat entschied einstimmig per einstweiliger Anordnung, dass der Ausschuss die Beweisaufnahme „unverzüglich" fortsetzen müsse. Dies gelte so lange, bis der Bundespräsident tatsächlich über eine Auflösung des Bundestages entschieden habe.
Sowohl Scholz als auch Montag zeigten sich von der Entscheidung des BVerfG überrascht. Sie könnten den Beschluss des Gerichts nicht nachvollziehen, würden ihn aber befolgen. Eckart von Klaeden, Obmann der CDU im Ausschuss, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als „vollen Erfolg". Er warf der Koalition vor, die Vernehmung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verhindern zu wollen. Scholz betonte, der Ausschuss hätte seine Arbeit sofort wieder aufnehmen können, wenn Neuwahlen nicht zustande gekommen wären. Volker Neumann (SPD), der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, erinnerte daran, dass viele Abgeordnete derzeit vor allem damit beschäftigt seien, sich um aussichtsreiche Listenplätze zu bemühen. „Es gibt jetzt eben nur noch Wahlkampf", so Neumann.
Schily wird voraussichtlich am 8. Juli vor dem Ausschuss aussagen. Auch eine Vernehmung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sei denkbar, sagte von Klaeden. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Aussagen von Schily und Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), der bereits vom Ausschuss vernommen wurde, deutlich widersprächen.
Aufgrund einer Anfrage der CDU im Europäischen Parlament wird der umstrittene Volmer-Erlass der Bundesregierung auch auf europäischer Ebene geprüft. Anfang Mai gab EU-Justizkommissar Franco Frattini eine vorläufige Einschätzung ab. Danach habe der Erlass offenbar in zwei Punkten gegen das Schengen-System verstoßen. Sowohl die finanziellen Mittel als auch die Rückkehrbereitschaft der Antragsteller seien nicht ausreichend geprüft worden, so Frattini. Der endgültige Bericht steht allerdings noch aus. Die Kommission kündigte Ende Juni die baldige Vorlage der Untersuchungsergebnisse an.
Der innenpolitische Sprecher der FDP im Europaparlament Alexander Alvaro sagte, bei Frattinis Einschätzung handele es sich um eine „diplomatisch formulierte Ohrfeige" für Bundesaußenminister Fischer. Cem Özdemir, Europaabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, warf der CDU und der FDP vor, die Kommission in ihre Kampagne einzuspannen. Er erinnerte daran, dass sowohl Europa-Abgeordnete der CDU als auch der FDP noch im Januar 2005 den Rat und die Kommission aufgefordert hätten, sich für Visa-Erleichterungen für die Ukraine einzusetzen. vö